Kairos Inspirationen 2024

Kairos Inspirationen 2024/#14

Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
der über die Natur und ihre heiligen Kreise,
in Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
mit grillenhafter Mühe sann,
der in Gesellschaft von Adepten
sich in die schwarze Küche schloss,
und nach unendlichen Rezepten
das Widrige zusammengoss
… erschien zuletzt in bunten Farben
die junge Königin im Glas,
hier war die Arzenei, die Patienten starben,
und keiner fragte, wer genas.
So haben wir mit höllischen Latwergen
in diesen Tälern, diesen Bergen
weit schlimmer als die Pest getobt,
sie welkten hin, ich muss erleben,
dass man die frechen Mörder lobt.

 

Goethe, Faust I

 

Kairos Inspiration vom 05.05.2024

 

Der hier angesprochene Vater von Faust soll zum Ende des 15. Jahrhunderts gelebt haben. Es war damals die Frühzeit  alchemistischer Experimente, deren Höhepunkt in das 17. Jahrhundert fiel. Alchemie ist die Kunst der Verwandlung von Substanzen. Das Ideal der Alchemisten des 17. Jahrhunderts war es, aus billigem Metall und dem Einsatz neu entdeckter Substanzen wie Phosphor Gold zu machen, was seinen Besitzern, den Fürsten, das Glück und die Macht auf Erden sichern würde.

Eine große Zeit geistlicher Alchemie war vorher schondas 13. Jahrhundert. In den großen Kathedralen wurde der Versuch gemacht, die Idee des himmlischen Jerusalem so zu  verwandeln, dass die Menschen, genauer, ihre Geistseelen, unmittelbar davon erfüllt und durchdrungen waren. In den großen literarischen Werken ging es um den Heiligen Gral oder den Stein der Weisen, der gesucht wurde.

 

In diesen Jahrzehnten erleben wir einen neuen Willen zur Alchemie. Die Idee ist, substanziell einen neuen Menschen zu schaffen. Es geht um einen ganzheitlichen Vorgang, der die körperliche, rationale, emotionale und geistige Dimension des Menschen durchdringen soll.

 

Gegen den Verlust unseres originären Menschseins sind wir eigentlich durch ein vierfaches Immunsystem geschützt. Es hilft uns zu unterscheiden, was wirklich gut für uns ist und was nicht. Also kommt es darauf an, auf den vier genannten Ebenen dieses Unterscheidungsvermögen zu mindern oder gar zu zerstören.

 

Ein sehr großer Verwandlungsprozess auf der körperlichen Ebene wurde durch die sogenannte Corona-Epidemie und die anschließende Folge von mRNA Spritzen initiiert. Der Körper sollte verlernen, zwischen gesund- und krankmachenden Faktoren klar zu unterscheiden. Es gab und gibt nun viele, die erleben, dass sich ihr gesundheitliches Leben wesentlich verändert hat, bis hin zum plötzlichen und unerwarteten Tod.

 

Auf einer zweiten Ebene geht es um die Verwandlung unseres rationalen Immunsystems. Diese Vernunft befähigt uns gewöhnlich, zwischen richtiger und falscher Aussage, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Das Anliegen der medialen und politischen Alchemisten ist es, das Bewusstsein der Menschen zu befähigen, richtig als falsch und falsch als richtig anzusehen. Gerade für dieses Jahr 2024 ist von der EU eine Informations-„Spritzen“ Kampagne ausgerufen worden, die in diesem Sinne der Bekämpfung der „Desinformation“ gilt. Wer sich noch auf die „alte“ Vernunft und Wissenschaft beruft, wird entweder geächtet oder als Rechtsextremist bezeichnet.

 

Auf einer dritten Ebene geht es um die Verwandlung unseres emotionalen Immunsystems. Dieses wird wesentlich im Kindesalter und über stabile Beziehungen wie Familien gebildet. Es befähigt uns, gute und schlechte menschliche Beziehungen zu unterscheiden. Diese alchemistische Beziehungsverwandlung wird auf gesetzlicher, medialer und erziehungspädagogischer Ebene vorangetrieben.

 

Auf der vierten Ebene geht es um die Verwandlung unseres geistigen Immunsystems, das gewöhnlich von den traditionellen Religionsgemeinschaften bestimmt wird. Bisher galt, dass der Mensch „unheilbar religiös“ sei und mehr oder weniger eine Ahnung habe von einem notwendigen Urgrund, Gut und Böse unterscheiden könne, Göttliches und Teuflisches zu trennen wisse. Die Alchemisten dieser Ebene arbeiten schon seit längerer Zeit daran, Sinnunsicherheit zu erzeugen, Kirchen und religiöse Gemeinschaften zu diskreditieren und so die Basis für eine neue einheitliche Religion mit einem ökologischen Narrativ zu schaffen.

 

Diese vier Verwandlungsebenen überlagern, durchdringen und verbinden sich. Unbekannte Koordinatoren richten immer wieder die Alchemisten auf diesen oder jenen Schwerpunkt aus. Erstaunlich ist, mit welcher Weitsicht Goethe schon das Endergebnis dichterisch erfasste.

 

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#13

Da die größten Kulturvölker in ihren politischen Formen schwanken oder in Übergängen begriffen sind, … würde es ein wunderbares Schauspiel, freilich aber nicht für zeitgenössische, irdische Wege sein, dem Geist der Menschheit erkennend nachzugehen der über all diesen Erscheinungen schwebend und doch mit allen verflochten, sich eine neue Wohnung baut. Wer hiervon eine Ahnung hätte, würde des Glückes und Unglückes völlig vergessen und in lauter Sehnsucht nach dieser Erkenntnis dahinleben.

Jacob Burckhardt

 

Kairos Inspiration vom 28.4.2024

 

Diese Inspiration lädt uns ein zum Fliegen. Lass das zurück, was dich an die Erde, an die Sorgen, Nöte und Freuden deines kleinen, kurzen Lebens bindet. Der Traum manches Milliardärs ist, einmal die Erde und ihre Schwerkraft hinter sich zu lassen, einmal auf den ganzen Planeten von oben zu schauen. Lass uns das heute mit dem geschichtlichen Weltraum machen.

 

Jeder von uns ist gleichsam eine Sonne in diesem geschichtlichen Weltraum. Die einen leuchten länger, die anderen kürzer. Jeder von uns hat eine gewisse Strahl- und Anziehungskraft.

 

So wie unsere Sonne nichts weiß davon, dass sie ihren bestimmten Platz in der Galaxie hat, die wir Milchstraße nennen, so wissen viele Menschen nichts davon, wo sie in diesem geschichtlichen Weltraum angesiedelt sind. Sie entstehen, leuchten, vergehen und sind damit mehr oder weniger zufrieden.

 

Wir aber wollen heute zumindest kurz die geschichtlichen Galaxien überfliegen, auch jene, die längst ihre lebendige Entwicklung hinter sich haben. Was davon übrig ist, sind Ruinen und Mentalitäten.

 

Im Osten sprechen wir von einer altamerikanischen Kultur, in ihrer Blütezeit wesentlich bestimmt von den Mayas. Eine zweite ist das Reich der Mitte, also China. Die dritte ist Indien. China und Indien haben ihr notwendiges inneres Wachstum schon vor mehr als 2000 Jahre vollendet. Allerdings wird die Erinnerung an die Stärke ihrer einstigen Entfaltung gerade wieder in hohem Maße geweckt.

 

Im Nahen und Mittleren Osten, also in der Mitte zwischen Ost und West, sehen wir das alte Mesopotamien, heute Iran und Irak, das alte Ägypten und die Galaxie der großen Religionen, vor allem der christlichen, jüdischen, islamischen Glaubensgemeinschaft, die wir in der Kairologie das Orientale Kultursystem nennen.

 

Im Westen und Norden taucht bei unserem Zeitflug die Antike auf, mit ihren beiden Schwerpunkten Griechenland und Rom. Jetzt erst sehen wir die Okzidentale Galaxie. Entstanden vor allem in Mittel- und Westeuropa, hat sie vor über 1000 Jahren die Grundlagen dafür geschaffen, schließlich sich die ganze Welt unterwerfen zu wollen. Im Vergleich zu den anderen historischen Galaxien können wir erwarten, dass auch sie ihre eigene Selbstentfaltung in diesem Jahrhundert vollenden wird.

 

Aber es ist nicht nur fast alles Vergangenheit, was wir sehen. Unser Flug bietet uns das unwahrscheinliche Erlebnis, nahezu die Geburt einer letzten großen Menschheitsgalaxie wahrzunehmen. Ihr Kern ist Russland. Wie einst Burgund und die Rhein-Mosel-Gegend den schöpferischen Kern des Okzidentalen Kultursystems bildeten, so in etwa der Raum Moskau/ Sankt Petersburg den neuen. So wenig das Geschehen im aramäischen Raum zur Zeit Jesu für einen Römer zu verstehen war, so schwer fällt es uns heute, den Kern der neu erwachenden slawischen Kultur innerlich mitzuvollziehen. Doch die seit 300 Jahren mit uns verbundene Vorgeschichte gibt uns viele Zeichen an die Hand. Oswald Spenglers historische Intuition hat uns schon 1918 in seinem „Untergang des Abendlandes“ einige wesentliche Konturen vermittelt. Sie beginnen sich nun deutlicher abzuzeichnen.

 

Unser extrem kurzer Höhenflug konnte uns ein wenig über die historischen Niederungen hinausführen und uns erheben zu den gewaltig großen Sinneinheiten der Menschheit. In ihnen realisieren bzw. realisierten sich neun Urmuster oder historische Archetypen.

 

Wir alle, die an irgendeiner Stelle Sonnen mit mehr oder weniger Strahlkraft sind, haben unseren Platz nicht zufällig irgendwo in der Zeit der Menschheit, sondern wirken alle mit an großen Sinneinheiten.

 

Vielleicht lässt dich dieser Flug etwas ahnen…

 

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#12

Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist…“

Kinderspiel

 

Kairos Inspiration vom 21. 4. 24

 

Was würdest du mir antworten, wenn ich zu dir sage: Ich wüsste so gern, wie es gerade jetzt in Kiew am Maidanplatz zugeht oder in Berlin am Brandenburger Tor. Du würdest wahrscheinlich dein Smartphone herausholen und mir die dort ständig installierte Videokamera zeigen. Voraussetzung: du kennst dich etwas mit deinem Gerät und dem Internet aus.

 

Ist dir bewusst, dass deine Antwort vor über 100 Jahren ungeheuerlich gewesen wäre. Die Relativitätstheorie wurde als Unsinn, die Quantenmechanik als esoterische Physik abgetan. Jetzt würde sich keiner wundern und ich würde vielleicht selbst abwinken und sagen, ich habe es mir schon angeschaut.

 

Wandeln wir das Spiel ab. Du drehst den Spieß um und sagst zu mir: Du beschäftigst dich doch mit der bedeutungsvollen Zeit, dem Kairos: Ich wüsste so gern, warum eine Merkel so und nicht anders agierte, wo wir heute in der großen Geschichte wirklich stehen, was es bedeutet, dass mir in letzter Zeit bei meiner Arbeit so sehr die Lust fehlt, ob mein Mitarbeiter wirklich zu mir steht oder eher am Absprung ist. Und wenn wir schon dabei sind: dann sage mir doch, wie es wirklich innerlich um meine Beziehung zu meinem Partner steht oder wann die nächste große Krise kommt.

 

Ist es möglich, das zu wissen? Ja, das ist möglich. Doch das, was damit gemeint ist, ist nicht leicht zu vermitteln. Viele haben hier noch den Verdacht, das sei Hellseherei, Esoterik, Einbildung. Auch vor 100 Jahren hätte ich mich im Geiste an das Brandenburger Tor versetzen können und so kann ich auch heute versuchen, mich in eine Merkel oder in eine Beziehung hineinzuversetzen, und dann meine Perspektive mitteilen. Nur – all das gilt als subjektiv.

 

Die Behauptung, man könnte objektiv Zugang haben, erscheint ungeheuerlich. Wenn dem so wäre, müsste man im Prinzip ja nur den jeweiligen Code wissen, um Zugang zu haben zu der Dynamik, auf die jemand bezogen ist.

 

Damit deute ich etwas an, was sich vielleicht so weiterführen lässt: Wer ein Smartphone in seinem Kern verstanden hat, hat auch den Kairos verstanden.

 

Ohne die unsichtbare Kräfte-Welt der modernen Physik würden keine Smartphones oder Computer funktionieren und ohne diese nicht die moderne Kommunikation. Ohne eine zweite Welt menschlicher Beziehungskräfte, die wir Kreativsein nennen, würde der Kairos nicht funktionieren. Und ohne Kairos würden wir Menschen nicht als Menschen funktionieren.

 

Im Kairos verlassen wir die Welt des Vorstellbaren und gehen in die Welt der menschlichen Beziehungen über. Wir machen das Gleiche, was wir tun, wenn wir über das Smartphone in die Welt der reinen Kommunikation und des Internets eintreten. Weder ein Dokument noch ein Foto ist auf einer Festplatte zu sehen. Genauso wenig hat bisher jemand direkt einen Kairos wahrgenommen. Erst wenn er verwandelt ist in das, was wir erleben, sinnlich wahrnehmen, für vernünftig, schön, gut, wahr halten, haben wir im Bewusstsein Zugang.

 

Heute ist uns klar, dass die Kernphysik und die Quantenmechanik die Natur tiefer erfasst als der Mechaniker. Genauso erfahren wir im Kairos die Welt des Menschen tiefer als durch die Beschreibung der Prozesse, in denen wir den konkreten Menschen sehen können. Je mehr und je genauer du also die verschiedenen Dimensionen eines bestimmten menschlichen Kairos erkennen kannst, desto genauer kannst du erkennen, worum es jemandem in seinem Hier und Jetzt wirklich geht, wohin seine Lebensenergie strebt.

 

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#11

Drei große Kräfte regieren die Welt. Dummheit, Angst und Gier.

 

Albert Einstein

 

Kairos Inspirationen vom 21. 4. 24

 

Drei große Kräfte arbeiten dagegen: Vernunft, Vertrauen und Gerechtigkeit.

 

Wie entsteht Vernunft? Durch die Verbindung von Ratio und emotionaler Kraft. Nur so vernimmt das Denken, bevor es seine rationale Eigenheit entfaltet.

 

Wie entsteht Vertrauen? Durch die frühe Erfahrung von Liebe und Bindekraft. Sie wächst am stärksten in den ersten Jahren des Lebens, und zwar in dem Maße, in dem ein Mensch sich bedingungslos bejaht und als Geschenk angenommen erlebt.

 

Wie entsteht Gerechtigkeit? Gerecht ist, wer jedem und allem das Seine im Rahmen eines Verständnisses des Ganzen zugesteht. Voraussetzung dafür ist die Erfahrung, so weit wie möglich selbst gerecht behandelt worden zu sein.

 

All diese drei Qualitäten haben ihre Zeit, in der sie wesentlich entwickelt werden müssen. In Kairos Lebensphase 1, bis zum Alter von etwa sechs Jahren, geht es um das Vertrauen, in der zweiten Lebensphase (6-12) dieser Art um Gerechtigkeit, in der dritten um Vernunft. Es sind Kräfte, die aufeinander aufbauen.

 

Dagegen geht Angst zutiefst aus einem Mangel an freiem Angenommensein hervor.

 

Gier entsteht aus einem Mangel an Erfahrung von Wertordnungen, die die Kraft haben, die Neigung zum Haben und Beherrschen zu zügeln.

 

Dummheit ist nicht einfach ein Mangel an Intelligenz, sondern die fehlende Bereitschaft, sich der realen Wirklichkeit als ganzer zu widmen und daraus seine Schlüsse zu ziehen.

 

Fragen wir uns also, wie diese bedrohlichen bzw. aufbauenden menschlichen Lebenskräfte in uns verteilt sind und in welchem Maße sie uns  führen.

 

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#10

Die Jahre Lehren viele Dinge, die man von Tagen nicht lernen kann.

Ralph Waldo Emerson

 

Kairos Inspiration vom 07. 04. 2024

 

Jeder Tag hat seinen eigenen Rhythmus und seinen Bedeutungshorizont. So lernst du jeden Tag. Das aber ist nichts anderes als die Dynamik des Lebens wirken zu lassen. Wir werden uns dessen wenig bewusst, dass jedes Lernen eine Kraft voraussetzt, die mich in Bereitschaft dafür hält. So nimmst du wahr, dass Preise sich verändern, Menschen umziehen, wie etwas nur funktioniert, wenn … Vieles davon versinkt nach kurzer Zeit wieder in der Bedeutungslosigkeit.

 

Darüber oder darunter wirken längerwellige Lebenskräfte. So lehrt der Eintritt in die Schule, dass die spielerische Kindheit vorüber ist. So lehrt die persönliche Verantwortung, die mit dem Studentenleben oder dem ersten Arbeitsvertrag verbunden ist, dass die Freiheit der Jugend vorbei ist, in der gewöhnlich die wesentliche Lebensvorsorge von anderen geleistet wird. Und so geht es weiter …

 

Was für Dinge lehren als nun die Jahre? Es geht darum, wie sich unser Verhältnis zum größeren Ganzen der historischen Gegenwart ändert. Denn es dauert eine bestimmte Zeit, bis sich der Kampf um den eigenen Platz an der Sonne etwas beruhigt hat. Erst dann kann man sehen, wer und was man wirklich ist, wofür der Kampf da war und ist, wie man innerhalb des Ganzen eingeordnet ist.

 

So lehren die Jahre,

wie stark die Kräfte, die unseren Entscheidungen zugrunde lagen, tatsächlich sind;

wie die Bilder und die Wirklichkeit der Welt tatsächlich zusammenhängen;

wer und was uns wieviel tatsächlich bedeutet;

welche Werte, die mir zu glauben gelehrt wurde, auch in schwierigen Situationen Bestand hatten und haben;

wie sich die Bedeutung von Beziehungen, sei es zu Personen der eigenen Geschichte oder zur gesellschaftlichen Gegenwart verändert hat und zwar wesentlich;

wie stark oder beweglich unser Inneres mit uns selbst und anderen umgeht.

 

All das geht über den eigenen Charakter und die Prägungen hinaus. Zuletzt offenbart sich darin die Lebens- und Liebeskraft, die sich in uns verankert hatte.

 

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#9

Die Wurzeln des Auges liegen im Herzen

 

Webseite des Klosters im Escorial

 

Kairos Inspiration 31. 3. 2024

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Wer hat Probleme mit Ostern und der Auferstehung Jesu? Eigentlich dürfte es diese gar nicht mehr geben. Ich glaube, unser Problem ist ein ganz anderes. Wir haben verlernt , die richtigen Analogien zu erleben.

 

Ja, vor 150 Jahren war es sehr schwer, so etwas zu glauben. Die Atheisten hatten es leicht, die Gläubigen haben sich furchtbar angestrengt, dass Überlieferte festzuhalten Es gab eben kaum mehr eine Welt, die analog aufgebaut war. Man war materiell und kausal geprägt. Aber heute?

 

Heute können wir Ostern analog jeden Tag erleben. Die moderne Welt der Medien ist eine rein analoge Welt. Damit meine ich, dass wir ständig etwas sehen, von dem wir eigentlich sagen müssen, dass wir es noch mehr nicht sehen und hören.

 

Ist es dem Menschen möglich, etwas, was für die sinnlichen Augen nicht da ist, zu sehen? Natürlich. Immer wenn wir fernsehen oder am Bildschirm des Computers etwas sehen, sehen wir etwas, was nicht da ist. Willst du die Figuren des Films anfassen, wie das kleine Kinder noch gerne tun, indem sie an den Bildschirm greifen, verschwinden sie. Gehst du zu nahe an den Fernseher, merkst du, dass hier nur eine Menge von Punkten ist, die sich verändern. Irgendwann, irgendwo gab es Menschen, die etwas gespielt oder getan haben. Die realen Szenen wurden gefilmt und abgespeichert. Keiner von uns kann sich wirklich vorstellen, was da passiert. Von nun an waren die Aktionen wesentlich verwandelt. Nichtsdestotrotz lässt sich natürlich (meist) wiederentdecken, was tatsächlich gespielt und gesagt worden war. Neu ist, dass nun, sobald die realen Vorgänge in die sinnlich nicht nachvollziehbare Welt des Films übergegangen sind, diese beliebig zeitlich und örtlich reproduzierbar sind.

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Der christliche Glaube argumentiert genauso. Nach der Auferstehung existiert Jesus wesentlich anders. Das sinnlich Reale wird unsichtbar und das unsichtbar im göttlichen Raum Gespeicherte sichtbar. Von nun an „erscheint“ er. In jeder Kommunion kannst du ihn zeichenhaft empfangen. So die religiöse Sprechweise. Er ist für die Augen des Herzens sichtbar, wenn du diese auf Empfang geschaltet hast. Denn, wie jemand geschrieben hat: Die Wurzeln des Auges liegen im Herzen.

 

Das ist natürlich sehr religiös gesprochen. Nehmen wir es einmal neutraler. Die Wurzeln des Auges liegen dort, wo wir als Menschen die Beziehung herstellen zu unserer Welt, die aus Fakten, Bildern, Gefühlen und Vorstellungen besteht. Ob ich an Ostern die Auferstehung feiere oder mir einen schönen Film anschaue, es zeigt mir und anderen jeweils, wie tief ich noch in Beziehung zu meinem Menschsein gehen kann und will, wie sehr ich noch verwurzelt bin in meinen Ursprüngen.

 

Das Problem ist nicht Ostern, sondern die Stärke der Kraft, die uns befähigt, bis zu den Wurzeln des Auges hinabzusteigen. Die Frage ist also, wo unser Bezug zum Unsichtbaren endet. Bei Charlie Chaplin und seinen Botschaften oder bei Jesus Christus und seinen Botschaften? Es ist eine Frage, die sich traditionell am heutigen Tage in besonderer Weise stellt oder besser gesagt, die der heutige Tag beantwortet, persönlich und kollektiv.

 

Frohe Ostern!

 

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#8

Die Jahre lehren viele Dinge, die man von Tagen nicht lernen kann.

Ralph Waldo Emerson

Kairos Inspiration vom 24. 03. 2024

 

Jeder Tag hat seinen eigenen Rhythmus und seinen Bedeutungshorizont. So lernst du jeden Tag, wenn du die Dynamik des Lebens wirken lässt. So nimmst du wahr, dass Preise sich verändern, Menschen umziehen, wie etwas nur funktioniert, wenn … Vieles davon versinkt nach kurzer Zeit wieder in der Bedeutungslosigkeit. Bei dem, was bleibt, ist uns allerdings häufig nicht bewusst, dass auch das bescheidenste Lernen eine Kraft voraussetzt, die mich in Bereitschaft dafür hält.

 

Darüber oder darunter wirken längerwellige Lebenskräfte. So lehrt der Eintritt in die Schule, dass die spielerische Kindheit vorüber ist. So lehrt die persönliche Verantwortung, die mit dem Studentenleben oder dem ersten Arbeitsvertrag verbunden ist, dass die Freiheit der Jugend vorbei ist, in der gewöhnlich die wesentliche Lebensvorsorge von anderen geleistet wird. Und so geht es weiter …

 

Was für Dinge lehren uns nun die Jahre? Nur langsam merken wir, wie sich unser Verhältnis zum größeren Ganzen der eigenen historischen Gegenwart ändert. Denn es dauert eine bestimmte Zeit, bis sich der Kampf um den eigenen Platz an der Sonne etwas beruhigt hat. Erst dann kann man sehen, wer und was man wirklich ist, wofür der Kampf da war und ist, wie man innerhalb des Ganzen eingeordnet ist.

 

So lehren die Jahre, wie stark die Kräfte, die unseren Entscheidungen zugrunde lagen, tatsächlich sind;

wie die Bilder und die Wirklichkeit der Welt tatsächlich zusammenhängen;

wer und was uns wieviel tatsächlich bedeutet;

welche Werte, die mir zu glauben gelehrt wurde, auch in schwierigen Situationen Bestand hatten und haben;

wie sich die Bedeutung von Beziehungen, sei es zu Personen der eigenen Geschichte oder zur gesellschaftlichen Gegenwart verändert hat und zwar wesentlich;

wie stark oder beweglich unser Inneres mit uns selbst und anderen umgeht.

 

All das geht über den eigenen Charakter und die Prägungen hinaus. Zuletzt offenbart sich darin die Lebens- und Liebeskraft, die sich in uns verankert hatte.

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#7

„… und was in schwankender Erscheinung schwebt, befestiget mit dauernden Gedanken.“

Goethe, Faust I

 

17. März 2024

 

Die indische Kultur unterschied zwischen dem kleineren und dem größeren Fahrzeug des Lebens. Auch wir tun das, wenn wir zwischen den personalen Lebensphasen und den großen historischen Phasen oder Epochen unterscheiden.. Auch Goethes Faust behandelt letztlich das Verhältnis dieser beiden Welten zueinander. Repräsentanten der Herrschaft über die kleine Welt des Menschen ist Mephisto. Auf der anderen Seite ist Gott mit seinen Engeln. Faust ist dazwischen.

„Von jenen Welten weiß ich nichts zu sagen. Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.“, So Mephisto gleich zu Beginn.

 

Die Engel dagegen haben eine andere Aufgabe: „und was in schwankender Erscheinung schwebt, befestiget mit dauernden Gedanken.“

 

Die Sehnsucht nach der Verbindung mit dem großen Rad ist jedem ins Herz gelegt. Aber Zugang haben wir gewöhnlich nur indirekt. Über das eigene Gefühl, über große Gedanken, die uns anziehen, über Autoritäten, die uns die Ewigkeit verkaufen, über Medien und Rauschgifte, die uns künstlich Momente der Loslösung von der anstrengenden Welt verschaffen.

 

Letztlich ist die kleine Welt finster. Jeder Tag, jeder Mensch, jedes Tun, was wir hinter uns lassen, ist gleichsam tot. All das kann zur Hölle werden, wenn es mit Versäumnis und Schuld belastet ist.

 

Die Sinn-Welt dagegen ist Licht, unvergängliches Leben. Etwas davon zu spüren ist der Kern dessen, was wir Glück nennen. Aber wie schon Mephisto nüchtern sagt: „Und euch taugt einzig Tag und Nacht.“

 

Dieser Zwischenraum verunsichert. Ist alles Illusion, Wunschdenken, Glaube, der sich an jede Boje klammert, die davor schützt, in der Geschichte spurlos zu versinken wie in einem Meer.

 

Wie groß diese Unsicherheiten und Ängste sind, zeigt das Maß an Verführbarkeit heute. Viele halten sich bedingungslos an jene, die beanspruchen, Sicherheit versprechen zu können. Sie wehren sich mit Händen und Füßen, wenn ihnen jemand die Boje infrage stellt, an die sie sich krampfhaft anklammern.. Sie verlangen nach einer sinnstiftenden geistigen Orientierung. Es muss ein Glaube sein, der für alle gilt. Rettung aus der Sinnlosigkeit. Sie spüren tief im Inneren, dass ein langes Leben, viele Urlaubsreisen, jede Menge Freizeit, Besitz und Geld das Problem nicht lösen können. Lieber kürzer, eingeschränkter, besitzloser, aber dafür im Glauben, für etwas Großes da zu sein.

 

Ob die Kreuzfahrer die heiligen Stätten der Heiligen Schrift gerettet haben, die Missionare der Neuzeit die Menschen aus der Unvernunft primitiver Rituale oder NGOs und ihre Aktivisten Klima, Demokratie oder die Weltgesundheit zu retten haben – sie alle glaubten und glauben, so im Sinne des Lichtes des historischen Kairos zu handeln. Die Kreuzfahrerstaaten brachen zusammen, die Missionare mussten China verlassen und verloren wieder viele andere Missionsprojekte und auch die aktuellen Bemühungen werden scheitern. In allen Fällen scheiterte die eigene Ideologie zuletzt an den Kräften des Lebens, der Tradition, des Freiheitswillens.

 

Wer um die zeitlichen Wahrscheinlichkeiten der Geschichte weiß, der weiß auch, in welchen Zeiträumen dieses Scheitern stattfindet.

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#6

Nicht der Gedanke, sondern die Verantwortungsbereitschaft ist der Ursprung der Tat.

Dietrich Bonhoeffer (1906-1945, lutheranischer Theologe und Vertreter der bekennenden Kirche)

 

10. März 2024

 

Wie wird die Beziehung zwischen einem Gedanken und der Tat hergestellt? Die eigentliche Frage lautet: In welchem Verhältnis steht ein Mensch oder auch eine ganze Generation zur Tat? Wie glaubt man, seine beste Kraft zu mobilisieren?

 

Im Wesentlichen gibt es dazu drei Grundpositionen.

Die einen sagen: was richtig ist, ist einfach zu tun. Demgemäß muss jemand, der erkennt, dass etwas richtig ist, auch danach handeln.

 

Andere sagen: Die Kraft zu handeln geht aus dem Verantwortungsbewusstsein hervor. Wer die richtige bewusste Haltung zu einer Erkenntnis hat, der entwickelt die Kraft, in diesem Sinne auch zu handeln.

 

Für Bonhoeffer ist das alles noch zu oberflächlich. Für ihn ist die ursprüngliche Erfahrung der „Verantwortungsbereitschaft“ erst die Quelle der Tat.

 

Natürlich lassen sich all diese Varianten zeitlos in ihrem Sinngehalt betrachten und diskutieren. Aber die Kairologie bleibt dabei nicht stehen. Für sie ist die Aussage von Bonhoeffer kein zufälliges persönliches Produkt oder Bekenntnis. Für sie genügt es nicht, auf Charakter oder Herkunft zurückzugreifen, um die Aussage einzuordnen.

 

Die Kairologie achtet darauf, wann jemand wie Bonhoeffer gelebt hat. Mit Jahrgang 1906 ist er Repräsentant einer historischen Sinngemeinschaft, die wir Kairos Generation nennen. Seine Kairos Generation umfasst Jahrgänge von etwa 1896-1922. Für diese Generation geht jede echte Tat unmittelbar aus der inneren Dynamik der Menschen hervor und nicht aus der Festigkeit eines Gedankens oder einer bestimmten Bewusstseinshaltung. Verändert sich die Kraft, verändert sich auch die Tat. Was sich innerhalb dieser Generation veränderte, war die Größenordnung der Gemeinschaft und die Art des Repräsentierens. Solange dieses Generationsfeld besteht, bleibt auch der wesentliche Unterschied zu den beiden anderen Mustern bestehen, die ich oben genannt habe.

 

Erst das Wissen um die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Generationsfeld, lässt uns ganz die konkret geschichtliche Bedeutung des Inhalts verstehen, den jemand vertritt.

 

Karl Hofmann

Kairos Inspirationen 2024/#5

Kairos ist überall

 

Kairos Inspiration vom 03.03. 2024

 

Wo Menschen sind, ist Kairos im Spiel. Jeder Mensch geht seinen Weg mit ihm. Denn nichts, was der Mensch tut oder wahrnimmt, lässt sich getrennt von der Beziehung betrachten, die er dazu hat. Und diese Beziehung hängt ab von seiner Lebensenergie, die er im Kairos erfährt.

 

Man hat es inzwischen geschafft, all das zu relativieren, was gegenüber dem Rest des Kosmos das Besondere des Menschen ausmacht. Relativiert wurde das Besondere der menschlichen Sprache, seine sinnlichen Ausdrucksformen, sein Bewusstsein, seine rationale Intelligenz, seine technischen Fähigkeiten … Alles findet sich in irgendeiner Weise auch sonst wo im Kosmos. Und die künstliche Intelligenz zeigt inzwischen, dass sie der natürlichen Intelligenz überlegen sein kann. Wir Menschen haben nicht etwas, was uns allen gegenüber überlegen macht.

 

Der Unterschied liegt auf einer anderen Ebene: wir sind von anderer Art. Unser Leben fängt eigentlich erst dort an, wo alles andere aufhört. Auf der Basis der ganzen kosmischen Realität erhebt sich ein Leben, dessen Kern das In-Beziehung-sein ist. Und dieses In-Beziehung-sein ist wesentlich Bewegung, Dynamik. Ob Urmensch, Maori, Indianer, Inder, Moslem, Chinese, Westler – in jedem vollzieht sich die gleiche Dynamik, die ihre Zeit und ihre Aufgabe hat. Jeden Moment unseres Lebens nimmt diese Dynamik eine andere Konstellation ein. Das Leben mancher Menschen mag äußerlich noch so gleichförmig aussehen, ihre Beziehung zu sich selbst, zu anderen, zur Welt ändert sich ständig, wenn auch oft für lange Zeit unmerklich.

 

Bei jedem Menschen auf der Welt baut sich nach einer bestimmten schöpferischen Logik sein In-Beziehung-sein auf. Jedes Volk auch hat darin seinen Platz und damit seine Zeit innerhalb der Menschheit. Alles durchläuft in der Tiefe einen gemeinsamen schöpferischen Prozess, in dem alle mit allen verbunden sind. Menschliches Leben ist somit eine bestimmte Weise des In-Beziehung-seins. Darin liegt unser aller Einheit und Verbundenheit. Daraus erwächst die Pflicht, uns alle zu respektieren und niemanden von der gemeinsamen Dynamik auszuschließen.

Karl Hofmann

Aktuelles

Kairos Inspirationen 2024/#13

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