Kairos Inspirationen 2024/#45 – 08. Dezember 2024
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Die Gabe der mentalen Kraft kommt von Gott, dem Göttlichen Wesen, und wenn wir unseren Geist auf diese Wahrheit einstimmen, werden wir im Einklang mit dieser grossen Macht sein.
Niklas Tesla
Es geht an Weihnachten nicht bloß um ein Christkind. Es geht um jedes Kind auf der Welt. Weil wir aus einer Mutter hervorgehen, haben wir einen Leib, ein körperliches Kommunikationssystem mit der Welt. Wir bilden ein biologisches System, das genau so ist, wie es ist, weil es nur so einer anderen Dimension entsprechen kann, die wir Geist nennen. Der Geist ist nicht etwas, was vom Vater kommt. Sonst müsste man ja annehmen, dass die Mutter ohne Geist sei. Der Geist kann auch nicht aus dem Samen des Vaters entstehen; denn der ist genauso biologischen Ursprungs wie das Ei der Mutter.
Wie also wollen wir es fassen, dass jedes gezeugte Menschenkind ein Geist-Leib-Wesen ist? Das Neue Testament spricht von einer jungfräulichen Geburt. Das deutet an, dass der Geist nicht vom Manne kommen kann. Wenn wir sagen, dass Jesus irgend einen Erzeuger voraussetzt, dann ist das keine Wahrheit, sondern nur ein banales Faktum. Es wäre aus meiner Sicht nicht notwendig, die Aussage von Markus 3,31 oder Matthäus 13,55 wegzudiskutieren, dass Jesus vier Brüder und einige Schwestern hatte. Das hebt in keiner Weise die Jungfräulichkeit auf, wie sie in dieser Schrift gemeint ist. Will ich mir etwas geschichtlich vorstellen, dann ist der Verkündigungstext bei Lukas aus meiner Sicht ein guter Weg: …Wie soll das geschehen …? – Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten …“ Lukas 1,34f.
Wo in anderen Gesellschaften die Frage sich nach dem Besonderen des Menschen gestellt wurde, kam man in ähnlicher Weise auf den Gedanken einer Jungfrauengeburt. Die spannende Frage ist also: Was unterscheidet dieses biblische Reden von den früheren, von denen es gerne abgeleitet wird? Die Frage stellt sich vor dem Hintergrund, dass aus diesen eigenartigen Anfängen ein großes spezifisches kulturelles System erwuchs. Es reichte über das frühe Christentum mit seinen verschiedenen Varianten, über die parallele Entwicklung des Judentums, über die Entstehung von Orthodoxie hier und Islam dort, bis hin zu den Amerikanern jenes Systems, dem Aufstieg der türkischen Osmanen.
Die Beweisführung im Neuen Testament für das radikal Neue des kulturellen Selbstverständnisses mittels der Erzählung von Verkündigung und Jungfrauengeburt findet sich nur bei Lukas und Matthäus. Markus braucht diese Geschichte noch nicht, Johannes nicht mehr. Und selbst in der abendländischen Kirche wurden diese Glaubensvorstellungen erst 1854 dogmatisiert, als Reaktion auf die Verabsolutierung der biologischen Sichtweise.
Das Neue Testament legt viel mehr Wert darauf, dass das Werden des menschlichen Geistes, der den Menschen die bewusste Beziehung zu dem Ganzen ermöglicht, weder bloß individuell noch bloß kollektiv zu verstehen ist. Beides ist eins, wogegen es im Bewusstsein jeweils in eine der beiden Vorstellungswelten zerfällt (Lukas: individuell, Matthäus: kollektiv)
Beides durchläuft dieselben Transformationsstufen der Vorbereitung. Denn die Existenz eines jeden von uns setzt die ununterbrochene Generationskette der ganzen Menschheit wie auch die Kette von bestimmten Entwicklungsschritten der Eltern voraus. Ein großes Kultursystem hat im Prinzip vier Vorstufen, ehe die Vereinigung von oben und unten geschehen kann. Für die Bibel sind das vier Bünde Gottes mit den Menschen: der Noah-Bund, der Abraham-Bund, der Mose-Bund und der David-Bund. Von Bund zu Bund wird diese Beziehung zwischen Gott und der Menschheit weniger mythisch, mehr geschichtlich.
In gleicher Weise setzt die Entstehung des Menschen idealerweise den Weg der Eltern durch vier Transformationsstufen der Entwicklung der inneren Einheit voraus. Sie haben die Kraft ihrer Erfahrung von Liebe, Glaube, Hoffnung und Sinn zu sammeln und zu speichern. In dem Maße, in dem dies geschieht, können sie einem Kind oder mehreren optimale Eltern sein.
Wir erlauben uns hier, einen komplexen und in der Praxis unvollkommenen Vorgang auf seine wesentlichen Konstanten zu reduzieren. Mein Anliegen ist es, auf eine doppelte gleichartige Verwandlung hinzudeuten. Sie ist Voraussetzung dafür, dass ein neues „Licht“ persönlich und im Großen wirklich werden kann.
Die vier Adventssonntage wollen genau diese vier Schritte vergegenwärtigen, an deren Ende eine Geburt gefeiert werden kann, die im Kern vom Himmel bis zur Unterwelt reicht und in der Folge allmählich in Geschichte verwandelt wird. Ein solcher Blick widerspricht nicht den Ahnungen, die sich verstecken im Plätzchen-backen und Geschenke-besorgen. Er führt aber vielleicht manche zurück zu den tieferen Ursprüngen gewisser Bräuche, Geschichten und Rituale.
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#44 – 01. Dezember 2024
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…Im Tod ist das Leben.
Aus einem religiösen Lied
Ich habe gelernt, das christliche Glaubensbekenntnis zu sprechen. Dort heißt es am Ende: Ich glaube an … das ewige Leben.
Glaube ich das wirklich? Müsste ich nicht zuerst wissen, was damit überhaupt gemeint ist? Am Ende, so heißt es, bist du, gereinigt, sein bei Gott, oder räumlich gedacht, im Himmel, oder zeitlich gedacht, im ewigen Leben.
Was willst du mit solchem Unsinn anfangen?, fragte mich ein Gesprächspartner. Wie können Religionen behaupten, dass der Tod zu überwinden, dass er eher ein Bild als ein realer Vorgang sei? Wie kann ernsthaft an eine „Auferstehung“ geglaubt werden, auch wenn der Körper offensichtlich zu Staub zerfällt? Wie kann sogar von einem ersten und zweiten endgültigen Gericht die Rede sein? Ist das alles nicht eine Summe von Verrücktheiten, Wunschvorstellungen, Illusionen, Projektionen?
Ist es nicht nur naheliegend, sondern sogar notwendig, mit allem, was wir haben, darauf zu setzen, möglichst lange dem Verschwinden und Vergessenwerden zu entgehen, alles dafür zu tun, gesund zu bleiben, zu genießen, Schätze anzusammeln, auf die man notfalls auch zurückgreifen kann?
Seltsamerweise verbindet sich mit solchen Gedanken meist eine verborgene Angst. Wie kann ich mit dem Verdacht gut leben, dass zwar vieles im Einzelnen sinnvoll erscheint, aber die Sinnlosigkeit des Ganzen zuletzt ein fettes Minus vor die Gleichung des eigenen Lebens und der Existenz der Menschheit setzt?
Für mich hat heute die Antwort auf die Frage nach einem Leben nach dem Tode bei dem Verständnis von „Leben“ anzusetzen. Ist Leben wirklich das, was wir sehen, fühlen, denken, haben? Ist es nicht vielmehr vom ersten Moment an ein In-Beziehung-gehen? Jeder von uns ist doch wesentlich, indem er immer wieder neu mit seiner Wirklichkeit in Beziehung tritt. Immer geht es für uns um ein Ja oder Nein.
Ich glaubte zum Beispiel lange, dass jeder Mensch essen und trinken muss, bis mir Menschen begegneten, die von Lichtnahrung lebten. Also: er muss nicht. Selbst zum Essen kann man Nein sagen. Oder persönlicher: Nach einem tiefen Streit kann ich die Beziehung zum anderen aufgeben oder fortsetzen.
Wir sind also, indem unser Verhältnis zu uns selbst, zu anderen, zu unseren Informationen immer im Werden ist. Ein Ja kann sich an diesem oder jenem Punkt in ein Nein verwandeln oder umgekehrt. Allgemeiner gesagt: Mein Leben ist die Summe meines In-Beziehung-Seins. Dieses In-Beziehung-sein ist noch weniger auflösbar als eine Information im Internet. Es ist nicht bloß mit der Kraft verbunden, die aus den Elementen der Natur erwächst, sondern mit der schöpferischen Beziehungskraft, die aus dem Wesen und der Geschichte der menschlichen Natur erwächst.
Jeder, der an diesem Prozess beteiligt ist, empfängt und schafft Bedeutung, und ist so selbst bedeutsam. Diese Bedeutsamkeit, die ich in Kairos Momenten manchmal auch ganz konkret erfahren kann, verschwindet nicht dadurch, dass ich sie im Tode nicht mehr schöpferisch fortsetze. Sie wird vielmehr zum dauerhaften Bestandteil des Weges der größeren Beziehungssysteme der Menschheit. Sie wird nicht nur – mehr oder weniger sichtbar – weitergetragen, sondern auch verwandelt. Die Kinder, die Enkel, die künftigen Generationen sprechen ihr JA oder NEIN dazu.
Auch die Missachtung meines wahren Lebens und des Lebens anderer, oder, anders gesagt, des In-Beziehung-Seins mit dem Ganzen meiner Welt wird bearbeitet. Und was in mir erstarrt ist, mein Haben und Haben-wollen also, wird gelöscht oder, um es moralisch zu werten, abgestraft.
Nur was in Beziehung zum Ganzen steht, bleibt im Tode. Dieses Verständnis tröstet mich. Es lässt mich aus dem Tal der Skepsis und der Entfremdung wieder herausfinden zum Licht, und so kann ich auf neue Weise sagen: ich glaube an das ewige Leben.
Karl Hofmann
Dezembergespräch Kairos Inspirationen – 19. Dezember 2024, 20 bis 21:30 Uhr
Dezembergespräch Kairos Inspirationen
Einladung der Deutschen Kairosgesellschaft zu einem Zoom-Austausch zu den Kairos Inspirationen des Dezembers 2024 am Donnerstag, 19. Dezember, 20 bis 21:30 Uhr
Themen:
Link: https://zoom.us/j/98889292111?pwd=ovrLUMJZAeHAbIsZ5UOt8OI1jhQoNo.1
Link: https://zoom.us/j/98889292111?pwd=ovrLUMJZAeHAbIsZ5UOt8OI1jhQoNo.1
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#43 – 24. November 2024
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Der größte Fehler, den man bei der Erziehung zu begehen pflegt, ist dieser, dass man die Jugend nicht zum eigenen Nachdenken gewöhnt.
Gotthold Ephraim Lessing
Lessing spricht eine Aufgabe an, zu der jeden von uns die siebte Kairos Lebensphase drängt. Zwischen knapp 39 und 45 Jahren sind wir von unserem schöpferischen Weg her aufgefordert, uns im Denken, Fühlen und Handeln für einen neuen Zugang zur eigenen Wirklichkeit zu öffnen.
Das Wachstum der vorhergehenden Jahre verwandelt sich in „Knospen“ neuer Weltgestaltung. Wie Apfel- und Birnbaum sich zunächst nur durch sekundäre Merkmale wie Blätter oder die Farbtöne der Blüten unterscheiden, ehe die Form der Früchte klar die Unterschiede zeigt, so tritt auch bei jedem von uns nun das in seiner Struktur hervor, was uns von anderen unterscheidet. Mein Geist drängt mich, bestimmte Strukturen gegenüber dem, was ich bisher kannte und mittrug, zu verbessern oder neu zu entwickeln.
Wer Familie hat, möchte das Familienleben nun immer mehr auf der Basis vernünftiger Vereinbarungen gestalten. Im Idealfall denkt man gemeinsam darüber nach, wie man den unterschiedlichen Bedürfnissen am besten gerecht werden kann. Das führt zu Vereinbarungen, wo vorher vor allem die Autorität der Eltern bestimmt hat.
Der innere Wunsch wächst, die Welt im Sinne bestimmter Vernunftprinzipien zu betrachten und zu formen. Dem Gestalt zu geben ist der eigentliche kreative Akt dieser Lebensphase. Das kann sich auf die Wohnung, den Arbeitsplatz, ein Unternehmen, eine vernünftigere Behandlung von Aufgaben oder auf das Bedürfnis nach einer größeren Sachlichkeit im Umgang miteinander beziehen. Du lernst nun, nicht mehr so sehr auf deine Überzeugungskraft, sondern auf die Kraft der Vernunft zu bauen. Es geht um Lösungen, denen ein Mensch, der nach- und mit denkt, eigentlich zustimmen können sollte. Du stellst die Vorteile dessen heraus, wofür du dich einsetzen willst. Du bist davon überzeugt, dass der andere es allein mittels seiner eigenen Vernunft nachvollziehen kann. Es stört dich also mehr als früher, wenn jemand darauf nur emotional reagiert oder immer nur Einzelfälle vor Augen hat.
In diesem Sinne hat nun die innere Verbundenheit mit anderen Menschen vor allem damit zu tun, wie man miteinander vernünftig umgeht. Es genügt nicht, sich gut miteinander zu fühlen oder den anderen als überzeugend zu erleben. Man wünscht sich, in einem gemeinsamen Weltanschauungsraum zu kommunizieren. Zu viel Emotionalität wie zu viel reine Sachlichkeit werden als stressig empfunden. Wo Argumente zählen und keine emotionalen Schlachten geschlagen werden, fühlt man sich wohl und mit den Menschen gut verbunden.
Wir streben in dieser Kairos Lebensphase eine gewisse Unabhängigkeit von Autoritäten an. Wir wünschen uns mehr Selbstständigkeit in unseren Entscheidungen. Wir wollen nicht mehr bloß auf eine Rolle, wie zum Beispiel das Muttersein, reduziert werden, sondern für uns auch den Raum haben, eine eigene Lebensform zu schaffen. Um die eigenen Anliegen durchzusetzen, verbinden wir uns daher nicht selten mit anderen. In dieser Zeit bereite ich also die Früchte der Substanz nach vor, die später in ihrer vielfältigen Form und ihrem je eigenen Geschmack geerntet werden können.
Die Gefahr dieser Lebensphase ist, innerlich zurückzubleiben und mit Gewalt oder aus Angst festzuhalten an dem Gewohnten und Sicheren. Oder aber schon ungeduldig den großen äußeren Erfolg zu erwarten, ehe vorher genügend die Ordnung des Ganzen studiert und gelebt zu haben.
In diesem Sinne streben wir also in dieser Lebensphase danach, zum Lehrer zu werden, der andere zum Nachdenken auffordert und ihnen hilft, neue Lösungen für alte Probleme zu akzeptieren. Oder wir ziehen es didaktisch vor, gemeinsam die Lösung zu finden. In beiden Fällen aber sind wir aufgefordert, uns erneut mit unseren Erfahrungen in der ersten Vernunftphase unseres Lebens auseinanderzusetzen, der Zeit zwischen zwölf und 19 Jahren.
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#42 – 17. November 2024
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Es wurde bisher grundsätzlich immer nur die Wahrheit verboten.
Friedrich Nietzsche
Die spannende geschichtliche Frage dazu lautet: wann war das Bedürfnis nach diesem Verbieten stärker, wann schwächer ausgeprägt? Worauf genau bezog sich das Verbieten?
Mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit ist es so eine Sache. Immer sind unterschiedliche Informationen im Umlauf. Gewöhnlich fehlt die unmittelbare Anschauung. So ist es ein Ringen, herauszufinden, was wirklich ist und welche Bedeutung es im Kontext hat. Die Frage also ist: was begründet in einer Gesellschaft Übereinstimmung, die dann auch im Bildungssystem weitergetragen wird. Nun können wir die Lösung dieser Frage innerlich optimistisch, skeptisch-prüfend oder pessimistisch beantworten. Ein Forschungsergebnis der Kairologie ist, dass diese Tendenzen auch ihre eigenen Zeiteinheiten haben, in denen sie innerhalb ihres Energiefeldes wirksam sind und gesellschaftlich dominieren. Wir sprechen von Kairos Generationen. Sie treten immer in der geschilderten Reihenfolge auf
Betrachten wir dazu kurz den politischen Weg der BRD bis heute, so können wir alle drei Varianten kurz skizzieren. Ab den fünfziger Jahren tritt allmählich jene Generation in den Vordergrund, die gegenüber den vorausgehenden Ideologien eine „offene Gesellschaft“ anstrebt. Ihr Optimismus setzt auf die unmittelbare Überzeugungskraft der Wahrheit, aber es auf es fast fertig setzen ist offen und wir machen uns vergessen was abzuholen Uhr, Saal getan und von der Höhe des hier ich wenn sie im besten Sinne von Menschen repräsentiert wird. Die sechziger und siebziger Jahre sind gekennzeichnet durch eine engagierte Diskussionskultur. Die führenden Politiker entfalten eine Sogwirkung für alle, deren Empfinden ähnlich gelagert ist. Eine solche Zeit wurde in der Nachkriegs-Bundesrepublik dominiert von Politikern wie Willy Brandt, Franz-Josef Strauß oder Helmut Schmidt. Parteien vergegenwärtigen in dieser Generation bestimmte konservative, freiheitliche oder progressive Kräfte des Ganzen. Verboten werden nach Möglichkeit Wahrheiten, die der individuellen Freiheit Grenzen setzen.
Der skeptische Realismus hält sich primär an die Autorität von Fakten und amtlichen Funktionen. Der Konsens geht aus der Objektivität von Wissenschaft, Gesetzen und Amtsträgern hervor. Dafür stehen ab den achtziger Jahren in der BRD Politiker wie Helmut Kohl, Friedrich Genscher oder Gerhard Schröder. Parteien sind hier primär Kaderschmieden und die Mitglieder Fußsoldaten der „Parteigeneräle“. Verboten ist, was weder sachlich-rational noch amtlich begründet ist.
Gegenwärtig dominiert die pessimistische Variante. Das „richtige“ Bewusstsein hat Vorrang vor den Fakten. Ein mit verschiedenen Mitteln erzeugter Konsens gilt nicht nur als Wahrheit, sondern zugleich als das für alle Gute. Nicht mehr die unmittelbare Kraft von Politikern oder der Glaube an die Wirkung objektiver Gegebenheiten schafft die gewünschte gesellschaftliche Einheit und Ganzheit, sondern die Art der bewussten Beziehung dazu.
Die Gegenwart soll bestimmt werden von einer gemeinsamen Ausrichtung des Bewusstseins auf die Zukunft. Der Konsens wird erzeugt durch ein gemeinsames Glaubensbekenntnis. Allem Handeln geht der Glaube voraus, dass gut und böse streng zu trennen seien. Wind und Sonne sind gut, Öl und Kohle sind schlecht. Impfen ist gut, Nichtimpfen ist schlecht. Selbst wenn jenes nicht gesund wäre, würde es zumindest das Gefühl geben, zur Gemeinschaft, zu den Guten zu gehören. Ukraine ist gut und mit allen Mitteln zu unterstützen, das Putin-Russland ist schlecht und mit allen Mitteln zu bekämpfen. In diesem Konsens der Glaubensgemeinschaft ist sowohl das Gute wie auch das Böse klar definiert. Was aber böse ist, ist auch schädlich für das Ganze. Es braucht daher eine Etikettierung, die es ermöglicht, es zu eliminieren. Solche Etiketten sind heute zum Beispiel rechtsextrem, homophob, Verschwörungstheoretiker, Putinversteher …
Vor 400 Jahren hieß es: Willst du nicht katholisch sein, schlag ich dir den Schädel ein. Das „katholisch“ stand für die universale Weltordnung, der sich jeder unterwerfen sollte. Der Protestantismus sollte nach Möglichkeit ausgerottet oder vertrieben werden. Dem stand allerdings ein rechtsgültiger Vertrag entgegen. Evangelische Städte und Fürstentümer konnten sich auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555 berufen. Er sicherte ihnen die freie Ausübung ihres Glaubens zu. Im 30-jährigen Krieg aber wollten jene, die von der universalen Gültigkeit des katholischen Glaubens die Einheit der Gesellschaft abhängig machten, das nicht mehr anerkennen. Der persönliche Glaube sollte sich dem größeren Glaubenskonsens unterwerfen.
Gewisse Ähnlichkeiten sind heute nicht zu übersehen. Die Grundrechte, 1948 im Grundgesetz verankert, sollen nur noch gelten, sofern der einzelne sich dem neuen gemeinsamen Glaubensbekenntnis und der dazugehörigen Sozialkirche unterwirft. Wer unabhängig davon diese Rechte einfordert, gehört nicht mehr dazu. Er oder sie wird an den Pranger der Medien gestellt, verbannt aus der Öffentlichkeit oder gar um die Existenz gebracht. Verboten ist alles, was an Wissenschaft, Fakten oder Rechten der verlangten „Haltung“ widerspricht.
Nietzsche hat recht. Auch heute gilt: „Du darfst nicht sagen, dass …“ Jede Generation hat ihre spezifischen Wahrheitsverbote. Insofern hat auch jede Zeit ihre Lebenslügen. Der einzelne aber hat immer die Möglichkeit, die Wahrheit zu suchen und für das Erkannte einzutreten. Die Kosten dafür sind allerdings je nach Generation unterschiedlich hoch.
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#41 – 10. November 2024
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Wo etwas schwer und unerträglich wird, da stehen wir auch immer schon dicht vor seiner Verwandlung.
Rainer Maria Rilke
Es sind die Extreme, die uns zeigen, was den Menschen ausmacht. Mann oder Frau – was soll es Natürlicheres geben? Aber so selbstverständlich ist das nicht. Das zeigt beispielhaft die Tatsache von „Transgender“. Mehr noch, wie gegenwärtig leicht zu erkennen ist, kann eine Gesellschaft das Transgendern sogar forcieren, seine sprachliche Anwendung ihren Mitgliedern im Bildungssystem aufzwingen, es zu einer öffentlichen Norm erheben und jene in den Mittelpunkt stellen, die es sichtbar verkörpern.
Seit dem 1. November darf man nun einmal pro Jahr sein Geschlecht ändern. Endlich ist in Deutschland zum Gesetz geworden, was der Österreicher Thomas Neuwirth als Conchita Wurst schon vor zehn Jahren werbewirksam umsetzte.
Es ist nachvollziehbar, dass sich viele darüber aufregen. Auch weil sie wahrnehmen, dass das Thema gegenwärtig künstlich gehypt wird. Unser Anliegen nun ist, das Thema auf einer anderen Ebene zu betrachten.
Das Geschlecht und das damit verbundene Selbstverständnis sind nicht einfach „naturgegeben“. Sein Geschlecht wird für den Menschen erst endgültig zu seiner Wirklichkeit, wenn er zu einem von beiden oder gar einem dritten oder gar vierten Selbstverständnis JA sagt.
Es ist also nicht so, dass die biologische Verfasstheit schon den Menschen ausmacht und sein Bewusstsein dies nur abbildet und vergeistigt. Sie ist vielmehr eine Wirklichkeit, die wesentlich auf einen Zusatzfaktor angewiesen ist, unsere Beziehung dazu.
Nicht die biologische Realität hat für den Menschen also das letzte Wort, sondern seine spezifisch menschliche Dynamik. Der Kern des Menschen ist sein In-Beziehung-sein und dessen Dynamik. Diese Dynamik kann auch dazu führen, dass er sein geschlechtliches Selbstverständnis im Laufe seines Lebens wechselt, ja dass er damit sogar spielen kann.
Es gab auch früher schon Zeiten, die Eunuchen hochschätzten. Solche Männer, meist schon als Buben kastriert, waren zum Beispiel im osmanischen oder chinesischen Reich sehr angesehen. Und während der großen Zeit der italienischen Oper im 17. Jahrhundert schätzte man Eunuchen wegen ihrer eindrucksvollen Frauenstimmen.
Wenn Staat und Kirche in der Vergangenheit unserer Kultur nur ein einziges Bewusstsein von Mann oder Frau zuließen und das zur anthropologischen Verfasstheit des Menschen erklärten, dann stand dahinter ein kulturelles Wollen, das im Gewand von religiöser oder rationaler Objektivität auftrat.
Die Transgender-Bewegung verneint den bisherigen Weg. Sie tritt aber auf ihre Weise nun genauso dogmatisch auf wie die 2-Geschlechter-Sichtweise. Sie erhebt wiederum einen objektiven Anspruch, kämpft gegen die bisherige Perspektive. Sie will die Auflösung, will vor allem Eltern und Kinder verwirren und verunsichern. Auch diese Ideologie sieht nicht, dass beiden Wegen ein Drittes zugrunde liegt.
Da der Mensch weder dies noch das ist, stellen sich neue Fragen: Was war das für ein schöpferischer geschichtlicher Weg, der lange Zeit nur diese Mann-Frau-Betrachtungsweise zuließ und alle anderen Regungen und Sichtweisen verdammte? Und was bedeutet es, dass dieser Weg der Verabsolutierung des Biologischen gerade zur absoluten sozialen Relativierung geführt hat? Wurde das scheinbar Natürliche vielen zu schwer?
Tiefer betrachtet ist zu erkennen, dass das Frühere und Spätere zusammengehören. Wie das eine kein Hinterfragen zuließ, so nun auch das andere. Dieser Gegensatz wird erst zu überwinden sein, wenn die eigentliche Frage lautet: Was ist auf Dauer sinnvoller für das Leben des Ganzen? Was ist von diesem Ganzen hier leichter zu ertragen? Diesem Pfad folgt schließlich auch die geschichtliche Wandlung.
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#40 – 03. November 2024
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Make America great again.
Donald Trump
Diese Kairos Inspiration zur aktuellen Präsidentenwahl den USA kann keine historische Kairosanalyse sein. Eine solche müsste sich differenziert mit vielen Aspekten der aktuellen Weltlage auseinandersetzen. Sie müsste auch das fraktale kairologische Netzwerk und seine in dieser Zeit maßgebenden Stränge aufschlüsseln. Anders ist eine angemessene Deutung der historischen Bewegung nicht möglich. Sie müsste auch der subjektiven Schwierigkeit begegnen, dass jeder von uns sich längst seine eigenen Bilder der richtigen Personen und ihrer Absichten geformt hat. Es kann in dieser Inspiration auch nicht darum gehen, über Information und Desinformation zu streiten.
Ich möchte versuchen, für die aktuellen Bedrohungen, Sorgen und Hoffnungen eine andere Perspektive ins Spiel zu bringen.
Mein Ansatzpunkt dafür ist, vielleicht für manche überraschend, die Kairos Lebensphase. Was sich zu diesen Lebensphasen ausführen lässt, ist gut in Bezug zur eigenen Erfahrung zu setzen. Der Weg zur ganzheitlichen Entfaltung der eigenen Persönlichkeit ist mit dem Wissen um ihre Kräfte, Muster und Ausformungen leichter nachzuvollziehen.
Schwerer ist es, sich vorzustellen, dass jeder von uns zugleich eine Zelle in einer historischen Riesen-Persönlichkeit ist. Dieser Riese, den wir üblicherweise als große Kultureinheit sehen, durchläuft die gleichen Kairos Lebensphasenfelder wie jeder von uns, nur auf einer höheren Ebene. Auch dieser Riese hat Eltern, ist einmal geboren worden, hat Kindheit und Jugend durchlaufen, einen bestimmten Charakter entwickelt und sich eine sichtbare Machtposition in der lebendigen Geschichte der Menschheit erobert.
Ohne hier weiter ins Detail zu gehen, fragen wir uns bloß, wo in seinen Riesen-Lebensphasen jener Riese steht, der früher als abendländische Kultur identifiziert wurde, heute als westliche, weltweit wirkende Zivilisation gilt. Die Antwort der Kairologie lautet: Der Riese ist in einer neunten historischen Kairos Lebensphase, etwa analog zum Alter 54/55.
Bei jedem von uns ist diese neunte Lebensphase die letzte der individuellen ganzheitlichen Persönlichkeitsentfaltung (knapp 52-58 Jahre). Danach fordert uns das Leben auf, uns in größere Ganzheiten zu integrieren.
Der Riese ist auf Menschheitsebene gerade mit der gleichen Aufgabe konfrontiert. Die eigenen und adoptierten Kinder (beim Riesen heissen sie Völker und Kolonien) sind großteils erwachsen. Sie wollen sich lösen aus der patriarchalen Abhängigkeit.
Wie ein erfolgreicher und machtbewusster Mann, so will auch der Kultur-Vater nun seine geschaffene Welt der Natur- und Menschenbeherrschung bewahren. Zugleich spürt er, dass er auf Vasallen und Sklaven, auf die Kräfte (Rohstoffe und Arbeitskräfte) anderer immer mehr angewiesen ist. Er droht mit allem, was er hat, und weiß doch, dass er damit nicht mehr die Abhängigkeit erzeugen bzw. erhalten kann wie in seinen stärksten Zeiten.
Viele Unternehmer versuchen in der neunten Lebensphase, das Erreichte abzusichern gegenüber allen, die es gefährden könnten. In ähnlicher Weise hat nun auch der Westen jetzt angefangen, das eigene Reich, , systematisch abzugrenzen, beginnend mit den traditionellen Partnern bzw. Vasallen. Ein Beispiel dafür ist, wie der Westen jetzt systematisch eine Kette neuer NATO Stützpunkte (bisher: Litauen, Rostock, Rumänien) gegenüber den „russischen Barbaren“ errichten will. Analog zur gleichen Zeit der antike römische Staat damit begannen, einen Gürtel von Kastellen gegenüber den germanischen bzw. den kleinasiatischen „Barbaren“ zu bauen.
Mann und Frau sollen in der neunten Lebensphase lernen, anders miteinander umzugehen. Um eine echte Ganzheit zu erreichen, ist von innen heraus das männliche ICH aufgefordert, sich auf das WIR und den gemeinsamen Geist hin zu entwickeln. Die primär resonanzbezogene Frau hat ihr eigenes ICH zu entwickeln und zu behaupten.
Genauso im Großen. Der historische Riese hat viele Jahrzehnte die Natur von Mensch und Kosmos nur von der männlichen Machtseite her betrachtet. Nun wird ihm mehr oder weniger schmerzhaft bewusst, dass er dabei die weibliche Seite bisher ignoriert, vergewaltigt oder unterjocht hat.
Wie wieder beides miteinander verbinden, ohne dabei seine Machtfülle zu verlieren? Wie die Einheit der „demokratischen“ Menschheitsfamilie bewahren, ohne die väterliche Macht und sein Selbstverständnis als Gottes auserwähltes Volk aufzugeben? Einem 55-jährigen stellt sich diese Aufgabe genauso wie dem Riesen.
Wie sieht das gegenwärtig historisch aus? Unübersehbar stehen sich inzwischen zwei Modelle der neuen Weltordnung feindlich gegenüber, das „männlich“ unipolare und das „weiblich“ multipolare. Noch hat keiner die Lösung gefunden, wie Vielheit und Einheit auf der Sinn- und Machtebene verbunden werden können. Noch glauben die führenden Köpfe der westlichen Elite, sie könnten ihre Hegemonie nur erhalten, indem sie den ganzen Körper mit seinen Milliarden Menschenzellen geistig und körperlich mit allen Mitteln auf ihre Linie bringen. Noch wagt es die eigene weibliche Seite, in diesem Riesen nicht, sich aus der Unterwerfung unter die Machtstrukturen zu befreien. Man schaue sich dazu zum Beispiel die konforme Haltung der christlichen Kirchen an.
Gleichzeitig wächst nun bereits sichtbar ein gemeinsames Bewusstsein jener Völker heran, die im Verhältnis zu dem Riesen ein „weibliches“ multipolares Selbstbewusstsein entwickeln. Viele Länder des Ostens und Südens sind jetzt aktiv dabei, eine Stärke und Selbstständigkeit zu entwickeln, bei der die Gewaltanwendungen und Bestechungen immer weniger verfangen. Das Stichwort dazu: BRICS+
Ein Ergebnis der nächsten Jahrzehnte wird sein, dass man die alten geopolitischen Herrschaftsverhältnisse nicht mehr aufrechterhalten kann. Man wird zähneknirschend akzeptieren müssen, dass die unipolare universale Weltordnung nicht mehr weltweit durchzusetzen ist.
Bis diese Einsicht sich aber in tatsächlich geltenden Verträgen (durch) gesetzt haben wird, das sagen die kairologischen Analogien, wird es noch wenigstens 15 Jahre dauern. Es wird erst der Fall sein, wenn alle Beteiligten bereit sind, ihre Ansprüche in ein größeres Ganzes zu integrieren.
In unserem Riesen wächst gegenwärtig aber auch noch ein großes gesundheitliches Problem heran. Den westlichen „Mann“ hat in Teilen ein aggressiver geistiger Krebs erfasst, der seine gesunde Volkssubstanz mit vielen Metastasen angreift. Das gesellschaftliche Immunsystem, früher einmal von Familie und Kirche getragen, ist im Großen wie im Kleinen massiv bedroht. Die Widerstandskraft der alteingesessenen Bevölkerung gegen jene neuen Zellen, die sich einnisten, ohne sich zu integrieren ins Gesamtsystem, ist in den letzten Jahrzehnten massiv geschwächt worden.
Bei der amerikanischen Präsidentenwahl geht es jetzt noch nicht um eine Änderung des grundsätzlichen Hegemonieanspruchs. Es geht vorrangig darum, ob dafür in nächster Zeit wieder auf die ureigenen „gesunden“ amerikanischen Kräfte oder auf die übernationale Idee einer einheitlichen Weltordnung gebaut werden soll. Trump betont, dass die eigene Gesundung die Voraussetzung dafür sei, die unipolare Welt zu vollenden, während die „demokratische“ Gegenseite von vornherein den eigenen Volkskörper in einem größeren Gebilde aufgehen sieht. Daher ist die Auseinandersetzung grundsätzlicher als früher und die alte amerikanische Bereitschaft, sich einem Wahlspruch zu unterwerfen, ist kaum noch vorhanden.
Wir sind an einer spannenden Wegscheide der Geschichte.
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#39 – 27. Oktober 2024
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Der Mensch kommt nur dazu, etwas Eigenes aufzustellen, wenn er sich davon überzeugt, dass das Vorhandene ihm nicht genügt hat.
Achim von Arnim
Die großen Entscheidungen sind in der Kairos Lebensphase 5 (25-32 Jahre) gefallen. Irgendwo habe ich mich eingewurzelt. Wie manchen Pflanzen eher ein karger Untergrund entspricht, andere weiche Erde brauchen oder den Schutz des Waldes, wieder andere nur im Dschungel gedeihen, so hat auch jeder von uns bis ca. 32 wenigstens eine Idee davon, wohin er oder sie gehört.
Nun beginnt der Schwerpunkt auf dem schöpferischen Wachstum zu liegen. Wie eine Pflanze sich vorbereiten muss, ehe alle Kraft in die Früchte fließen kann, so geschieht es auch bei uns bis zum 39. Lebensjahr. Es geht um Wachstum, Entwicklung und Ausbildung der eigenen Werteordnung. Zu unserem schöpferischen Wesen gehört es, dass keinem von uns das Vorhandene ganz genügt. Die Entwicklung des Eigenen ist aber nicht einfach ein innerer Prozess, sondern spielt sich in der Kommunikation mit anderen ab.
Eine dreifache Polarität öffnet sich. Die Lebensentfaltung deines Wollens ringt mit schon vorhandenen Positionen und ihren Trägern. Der Glaube an bestimmte Ideen und Werte sucht Wege, andere davon zu überzeugen und entwickelt sich im Rahmen dieser Kommunikation weiter. Mann und Frau ringen im Arbeitsteam bzw. in der Familie darum, wie eine Einheit in der Polarität unterschiedlichen Denkens, Fühlens, Handelns innerlich zu halten oder zu gewinnen ist.
Es ist eine Zeit, in der man sehr deutlich spürt, dass die menschlichen Beziehungskräfte miteinander ringen. Du suchst Gemeinschaft. In dieser Zeit wird Leben am stärksten als lebendiges persönliches Miteinander empfunden. Sei es geistig mit Autoritäten und Autoren, die dich ansprechen, sei es familiär im Freundeskreis, über Kindergarten oder Schulveranstaltungen, sei es im gemeinsamen Arbeiten, sei es auch bei Fortbildungen, bei denen vor allem auf die persönliche Überzeugungskraft der Lehrenden geachtet wird.
Es ist eine persönlich kreative Zeit. Wer eine Familie gegründet hat, träumt vom individuell gestalteten Eigentum. Liebevoll durchgeführte Kindergeburtstage, gemeinsame Urlaube und Ausflüge, außergewöhnliche Herausforderungen, berufliche Experimente spielen eine wichtige Rolle. Der Spaß von Eltern am schönen Gestalten wie auch an gelegentlichen Abenteuern kommt Kindern im Grundschulalter total entgegen. Es ist auch die Zeit des spielerischen Ausprobierens von Neuem in der Arbeit, die beste Zeit für Startups. Die schöpferischen Hauptwerke wachsen heran.
Es ist auch nicht unerheblich für Unternehmen, um das Wesen dieser Lebensphase zu wissen. In dieser Zeit haben sie nämlich einen großen Vorteil davon, wenn sie ihren Mitarbeitern einen großen schöpferischen Spielraum gewähren, eher locker mit festen Strukturen umgehen und Platz zum freien Austausch schaffen.
Kehrseite dieser Lebensphase ist, dass viele sie zugleich als Rushhour des Lebens empfinden. Beruflich und familiär wird die Lebens- und Beziehungskraft bis zum Äußersten eingefordert. Ich brauche die aus der Jugend gespeicherte Kraft, um hier JA sagen zu können. Werden die eigenen schöpferischen Anliegen niedergeschmettert, die beruflichen Ambitionen brutal ausgebremst, kann das zu einem deutlichen Rückzug aus wesentlichen Beziehungen führen. Denn von anderen nicht anerkannt, von Vorgesetzten zu sehr getadelt zu werden, trifft einen in dieser Zeit stärker als zu anderen Zeiten.
Der Übergang von L6 auf L7 wird von alters her als Lebensmitte beschrieben. Er hat gleichsam „Schwellencharakter“. In einer der nächsten Inspirationen werden wir auch diese Schwelle geistig überschreiten und die damit verbundenen Wandlungen zu skizzieren versuchen.
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#38 – 20. Oktober 2024
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Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.
J.K.Rowling
Welches ist die wichtigste Zeit in unserem Leben? Darüber lässt sich trefflich streiten. Denn es scheint sehr von der subjektiven Wahrnehmung abzuhängen. Für manche Mutter ist es wohl die Zeit ihrer Geburt(en), ganz gleich, wann das chronologisch der Fall ist. Für manchen Mann ist es vielleicht die Zeit seiner größten Erfolge oder beruflichen Umbrüche. Für andere sind es bestimmte Erlebnisse, glückliche oder schreckliche Erfahrungen.
Das ist alles nachvollziehbar. Und doch möchte ich behaupten, vom Kairos her gibt es eine gewisse maximal bedeutsame Zeit und das ist die Zeit zwischen 25 und 32 Jahren. Es ist die fünfte Kairos Lebensphase. Entscheidungen, die in dieser Zeit gefällt werden, sind verbunden mit maximaler persönlicher Lebensenergie. Wir können überzeugt sein, etwas für das ganze Leben Bedeutsames zu tun. Wer in L5 wagt, wagt existenzieller als vorher und nachher.
Verbunden ist diese Kairos Lebensphase mit drei Wandlungen sehr grundsätzlicher Art. Zum Einen ist es die Zeit des Übergangs vom Werden zum Gestalten. Zum Zweiten ist es die Zeit der stärksten Frage nach dem, was ich persönlich wirklich glaube. Zum Dritten ist es die Zeit der wesentlichen Wandlung von Beziehungen.
Was hier geschieht, wird über seine ferneren Auswirkungen klar erkennbar. Die ersten vier Kairos Lebensphasen können wir die Zeit des Werdens nennen. Im Werden bin ich primär Empfangender. Ich empfange ein bestimmtes Maß an Kraft des Liebens, des Glaubens, des Hoffens und der Wahrnehmung einer Welt, die ich bejahen kann. Ich erfahre zeichenhaft, was ich kann, was mir an Temperament, Talent, Intellekt, emotionaler Kraft gegeben ist.
In Kairos Lebensphase 5 kommt nun aber die drängende Frage: Was will ich damit gestalten? Welche Ideen der Weltgestaltung begeistern mich? Welcher ferne Gipfel taucht vor mir auf, den ich gerne erreichen möchte? Was also möchte ich aufbauen? Eine Familie, eine Karriere, ein sicheres oder gefahrvolles Leben? Zu welcher Welt will ich gehören? Wie viel Kraft möchte ich wofür aufwenden? Fragen solcher Bedeutsamkeit kehren erst in den 50er Jahren wieder.
Es sind mehr oder weniger bewusste Grundentscheidungen, die ich fälle. Gerade weil mein Innen mich dazu drängt, ohne dass ich vielleicht sofort JA dazu sagen kann, wird es manchmal schmerzvoll und quälend, die eigene Richtung zu finden.
Wage ich loszugehen? Wenn ja, mit wem? Oder allein? Wie viele Strapazen bin ich bereit, für meine Idee von Lebenserfolg auf mich zu nehmen? Wie sehr kann ich Begeisterung für eine Aufgabe entwickeln, für einen Menschen? Wie sehr wage ich es, mich dem Risiko auszusetzen, zu scheitern? Kann ich etwas gut genug, dass ich darauf setze? Was traue ich mir an Verantwortung für das Leben, für eine Familie, für ein Team, für ein Werk zu?
Das sind zuerst innere Weichenstellungen, die bis zum Alter von etwa 50 Jahren die Richtung vorgeben. Sie können sich in vielen Gestalten zeigen, so zum Beispiel in der Wahl einer Selbständigkeit oder einer sicheren Stelle. Genauso in einer Hochzeit, in Kindern, in Stellenwechseln, in öffentlichen Auftritten …
Aber die grundlegenden Änderungen beziehen sich nicht nur auf die Art meiner Lebensentfaltung, der Bildung des für mich bedeutsamen Lebensraums. Sie beziehen sich auch auf das, was nun ich wirklich glaube. Bleibe ich bei dem, was mir die Autoritäten meiner Kindheit und Jugend an Werten, Normen, Idealen, Glaubenssätzen beigebracht haben? Oder wende ich mich davon ab? Baue ich mir eine neue Glaubenswelt auf? Was denke ich wirklich? Wovon bin ich überzeugt? Wieviel ist mir das wert, was ich für richtig halte? Oder löst sich bei genauerem Hinschauen alles auf, was ich einmal für wahr und maßgebend hielt?
Es sind oft schwierige Prozesse, die sich in einem abspielen. Sie haben nicht selten zu tun mit wachsender Distanz zu bisher sehr vertrauten Menschen, Gruppierungen, Ansichten. Sie führen manchmal dazu, dass neue Menschen in mein Leben treten, mich neue Realitäten begeistern und große Ideen wecken.
Mit all dem eng zusammen hängt auch die Veränderung meiner Beziehungen. Viele Jugend- und Studentencliquen lösen sich auf. Ich überlasse meine Beziehungen nicht mehr einfach dem Zufall oder der Gewohnheit, sondern ich wähle aus. Ich suche den Kern des anderen, die Seelenübereinstimmung, den gemeinsamen Geist.
Zuletzt aber sind diese verschiedenen Stränge von Kairos Lebensphase 5 zueinander ins Verhältnis zu setzen, zu gewichten. Hat zum Beispiel die Idee einer Familie Vorrang vor dem mangelnden Verständnis füreinander, das ich spüre? Hat die große Karriere Vorrang vor bestimmten Wertvorstellungen? Will ich eher kleine oder große Brötchen backen?
Sich in L5 seinem Kairos zu stellen, heißt also in erster Linie, sich auf seine grundsätzlichen und weitreichenden Impulse einzulassen. Oft sieht man erst viele Jahre später, welche Kairoskräfte zu jener Zeit wirklich in einem gewirkt haben. Und so kann auch ein später Rückblick wertvolle Erkenntnisse bringen, wenn es um die Frage geht, was damals wirklich in einem vorgegangen ist.
Karl Hofmann
Kairos Inspirationen 2024/#37 – 13. Oktober 2024
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Es wird jedem einleuchten, dass jede Verstärkung des Strebens nach persönlicher Macht der Entfaltung des Gemeinschaftsgefühls Abbruch tut.
Alfred Adler
Es ist interessant, wie im Christentum der Weg vom WIR zum ICH ging. Ursprünglich war das „WIR glauben“. Ursprünglich hieß es: „Vater UNSER“. So das einzige Gebet, von dem man schrieb, dass es Jesus lehrte. Es sind DIE Apostel als Zeichen der zwölf Stämme Israels, die Jesus umgaben. Zwar ist Petrus der Sprecher, aber er erweist sich auch als Groß-Sprecher. Er versagt jeweils wenn sein Einsatz gefragt war. Als er über das Wasser (des Lebens) laufen soll, versinkt er. Als er zu Jesus stehen soll, verrät er ihn dreimal.
Später erst erhebt sich die Kirche von Rom über die anderen. Und zwar nicht nur symbolisch, sondern sehr real. Aber wann war dieses „später“? War es wirklich schon im vierten Jahrhundert? Wirklich schon unter Pipin dem Kurzen 754 oder unter Karl dem Großen? Wirklich schon unter Otto II, der sich 962 vom Papst zum Kaiser salben ließ? Wohl noch später. Als das Abendland zum eigenen Bewusstsein erwachte und sich radikal abgrenzte zum Osten. Dort war bis 1054 der reale Schwerpunkt der Kirche. Die abendländischen Kaiser holten sich anfangs ihre Autorität durch die Nähe zu der byzantinischen Kaiserfamilie. Dann kam die erste Emanzipation, indem die Westkirche sich von der Ostkirche, einem tiefer geordneten WIR, formal trennte. Dann kam schon der erste Anspruch, die heiligen Stätten Israels nicht nur besuchen, sondern über sie verfügen zu wollen (erster Kreuzzug 1096).
Voraus ging bereits eine wesentliche Verwandlung. Man hatte begonnen, in die Liturgie das „Apostolische Glaubensbekenntnis“ einzufügen. Es fing nicht mehr mit dem „WIR glauben“ an, sondern mit dem „ICH glaube“ (Credo). Das ICH trat riesengroß in den Vordergrund des Bewusstseins.
Und so auch die Gestalt des Petrus als einzeln da stehender Fels.
Das WIR wurde zum sprachlichen Kleid, zur Formel, die noch daran erinnerte, was der Ausgangspunkt der Entwicklung war. Es hatte aber keine tiefere Bedeutung mehr.
Wieviel WIR lässt sich von einem ICH aus beherrschen? Das fragten die Bischöfe genauso wie die Fürsten. Der triumphale kirchliche Gipfel dieses ICH war Papst Bonifaz VIII. Er beanspruchte sehr real für sich die Vergabe des geistlichen und weltlichen Schwertes (1302). Der triumphale monarchische Gipfel dieses ICH war Ludwig XIV im 17. Jahrhundert. SEINE Vernunft war Versailles, war Frankreich, war Europa.
Inzwischen ist das ICH demokratisiert worden. Es geht um mein Leben, meine Rechte, meine Träume. Und wieder versuchen gewisse ICHs, die Chefs von … die Kräfte dieser Masse von ICHs abzusaugen. Sie sind dem einen, in der Spitze anonymen ICH zu unterwerfen, das die „demokratische“ Variante von Papst und Kaiser darstellt.
Von hier aus wird ein WIR erzwungen. Aber nach Möglichkeit nicht direkt. Das wäre unschön, ja geradezu primitiv. Das ICH muss schließlich in seiner ICH-Freiheit geachtet werden. Für den Zwang bleiben zwei Vorgehensweisen. Die rechtliche und die psychologische.
Die rechtliche Anordnung beruft sich auf eine rationale Repräsentation aller ICHs, so zum Beispiel über Wahlen. Die psychologische Methode beruft sich auf die wissenschaftlich durchdrungene Psyche. Indem man inzwischen zu wissen glaubt, wie sie funktioniert, ist man sich auch sicher, das Freiheits- und Unabhängigkeitbewusstsein so manipulieren zu können, wie man es braucht. Während man über die inneren Kräfte verfügt, lässt man dem Betroffenen aber natürlich den Schein, ein freies ICH zu sein.
Von außen her ist schwer zu unterscheiden, welche menschliche Gemeinschaft Ausdruck eines Willens ist und welche Funktion eines Willens ist. Bilden die ICHs ein WIR, weil in ihnen das WIR den Vorrang hat, oder ist es ein vorgegebener Zweck, der sie dazu zwingt, ein WIR zu bilden?
Die zweite Variante hat in den letzten 1000 Jahren mit immer größerer und abstrakterer Gewalt die Geschichte bestimmt. Immer noch zielt dieser Wille, der inzwischen keinen persönlichen Namen mehr hat, auf den Traum eines absolut herrschenden Imperiums ab. Aber dieser Wille wird inzwischen immer weniger vom Volkskörper getragen. Mithilfe der Gewalt von Gesetzen, Medien, Geld, Polizei und Militär wird heute versucht, diesen alles umfassenden EINEN Willen durchzusetzen bzw. aufrecht zu erhalten. Aber wenn seine Träger den Unterbau des Volkswillens nicht mehr pflegen, wenn sie dem eigenen Machtanspruch selbst nicht mehr gewachsen sind und sich in alle Arten von Blutauffrischung und Blutsaugerei flüchten müssen, verheißt dies nichts Gutes.
Wir erleben bereits, dass jene Völker aufbegehren, in denen das ursprüngliche WIR noch, oder wieder, wach und stark ist. Wann wird das funktionale WIR dem inneren WIR weichen müssen?
Karl Hofmann