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…Im Tod ist das Leben.
Aus einem religiösen Lied
Ich habe gelernt, das christliche Glaubensbekenntnis zu sprechen. Dort heißt es am Ende: Ich glaube an … das ewige Leben.
Glaube ich das wirklich? Müsste ich nicht zuerst wissen, was damit überhaupt gemeint ist? Am Ende, so heißt es, bist du, gereinigt, sein bei Gott, oder räumlich gedacht, im Himmel, oder zeitlich gedacht, im ewigen Leben.
Was willst du mit solchem Unsinn anfangen?, fragte mich ein Gesprächspartner. Wie können Religionen behaupten, dass der Tod zu überwinden, dass er eher ein Bild als ein realer Vorgang sei? Wie kann ernsthaft an eine „Auferstehung“ geglaubt werden, auch wenn der Körper offensichtlich zu Staub zerfällt? Wie kann sogar von einem ersten und zweiten endgültigen Gericht die Rede sein? Ist das alles nicht eine Summe von Verrücktheiten, Wunschvorstellungen, Illusionen, Projektionen?
Ist es nicht nur naheliegend, sondern sogar notwendig, mit allem, was wir haben, darauf zu setzen, möglichst lange dem Verschwinden und Vergessenwerden zu entgehen, alles dafür zu tun, gesund zu bleiben, zu genießen, Schätze anzusammeln, auf die man notfalls auch zurückgreifen kann?
Seltsamerweise verbindet sich mit solchen Gedanken meist eine verborgene Angst. Wie kann ich mit dem Verdacht gut leben, dass zwar vieles im Einzelnen sinnvoll erscheint, aber die Sinnlosigkeit des Ganzen zuletzt ein fettes Minus vor die Gleichung des eigenen Lebens und der Existenz der Menschheit setzt?
Für mich hat heute die Antwort auf die Frage nach einem Leben nach dem Tode bei dem Verständnis von „Leben“ anzusetzen. Ist Leben wirklich das, was wir sehen, fühlen, denken, haben? Ist es nicht vielmehr vom ersten Moment an ein In-Beziehung-gehen? Jeder von uns ist doch wesentlich, indem er immer wieder neu mit seiner Wirklichkeit in Beziehung tritt. Immer geht es für uns um ein Ja oder Nein.
Ich glaubte zum Beispiel lange, dass jeder Mensch essen und trinken muss, bis mir Menschen begegneten, die von Lichtnahrung lebten. Also: er muss nicht. Selbst zum Essen kann man Nein sagen. Oder persönlicher: Nach einem tiefen Streit kann ich die Beziehung zum anderen aufgeben oder fortsetzen.
Wir sind also, indem unser Verhältnis zu uns selbst, zu anderen, zu unseren Informationen immer im Werden ist. Ein Ja kann sich an diesem oder jenem Punkt in ein Nein verwandeln oder umgekehrt. Allgemeiner gesagt: Mein Leben ist die Summe meines In-Beziehung-Seins. Dieses In-Beziehung-sein ist noch weniger auflösbar als eine Information im Internet. Es ist nicht bloß mit der Kraft verbunden, die aus den Elementen der Natur erwächst, sondern mit der schöpferischen Beziehungskraft, die aus dem Wesen und der Geschichte der menschlichen Natur erwächst.
Jeder, der an diesem Prozess beteiligt ist, empfängt und schafft Bedeutung, und ist so selbst bedeutsam. Diese Bedeutsamkeit, die ich in Kairos Momenten manchmal auch ganz konkret erfahren kann, verschwindet nicht dadurch, dass ich sie im Tode nicht mehr schöpferisch fortsetze. Sie wird vielmehr zum dauerhaften Bestandteil des Weges der größeren Beziehungssysteme der Menschheit. Sie wird nicht nur – mehr oder weniger sichtbar – weitergetragen, sondern auch verwandelt. Die Kinder, die Enkel, die künftigen Generationen sprechen ihr JA oder NEIN dazu.
Auch die Missachtung meines wahren Lebens und des Lebens anderer, oder, anders gesagt, des In-Beziehung-Seins mit dem Ganzen meiner Welt wird bearbeitet. Und was in mir erstarrt ist, mein Haben und Haben-wollen also, wird gelöscht oder, um es moralisch zu werten, abgestraft.
Nur was in Beziehung zum Ganzen steht, bleibt im Tode. Dieses Verständnis tröstet mich. Es lässt mich aus dem Tal der Skepsis und der Entfremdung wieder herausfinden zum Licht, und so kann ich auf neue Weise sagen: ich glaube an das ewige Leben.
Karl Hofmann