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Altern heißt, sich über sich selbst klar werden.” – Simone de Beauvoir
Es ist so leicht, über den täglichen Eindrücken, Informationen, Problemen die großen Linien und Transformationen unseres Lebens aus den Augen zu verlieren. Ein Bild mag uns helfen, das besser zu verstehen. Wir sehen, wenn es regnet. Wir sehen nicht, wie sich vorher der Luftdruck entschieden verändert hat. Die Tropfen, die wir spüren, sind die letzten Konsequenzen aus Veränderungen, die in der Stratosphäre ablaufen. Wenn wir über das Wetter reden, so sind wir also oft nur auf der äußersten Ebene des Wettergeschehens. Oder nicht einmal dort, sondern nur bei unserem aktuellen Empfinden.
In der Stratosphäre des Menschen ändert sich um das 52. Lebensjahr ungemein viel. Eine 26-jährige Strömung wechselt wesentlich die Richtung. Bis dahin hat jeder von uns vier Stufen eines bestimmten Transformationsprozesses durchlaufen. Wie sich die Kräfte des Werdens zwischen 19 und 25 Jahren endgültig ausformen, so in der folgenden Zeit die Kräfte des eigenen Gestaltens.
Das bis dahin letzte menschliche Energiefeld in diesem Lebensaufbau hatte mit 45 Jahren begonnen. Mein Tun will in der achten Kairos Lebensphase endgültig bei mir ankommen. Ich suche die Selbständigkeit und Unabhängigkeit in meinem Handeln. Mich stört es massiv, wenn meine inzwischen gewonnene Kompetenz nicht anerkannt wird, sei es privat, sei es beruflich. Anders gesagt: ich kämpfe dafür, dass ich in dem, was ich für richtig halte oder praktisch tue, so wenig wie möglich eingeschränkt werde.
Man neigt in dieser Phase dazu, maximal zu funktionieren. Das durchdringt alles, Familie, Urlaub, Arbeit, Freundschaften. Nicht wenige überarbeiten oder erschöpfen sich, wenn ihre Vorstellungen zu Zwangsvorstellungen werden. Und manche menschliche Beziehung, die bis dahin als segensreich empfunden wurde, wird nun täglich lästiger. Ob dies im Dauerstreit oder in der Trennung endet, hängt dann von vielen weiteren Faktoren ab.
Auf jeden Fall wird mit fast 52 Jahren der Höhepunkt dieser Entwicklung überschritten. Die neunte Kairos Lebensphase (ca. 52-58 Jahre) bringt eine Neuausrichtung. Bis dahin hatte man alle Kräfte für die Tradierung, Ausdehnung, Weltgestaltung und –eroberung eines eigenen Lebensraums eingesetzt. Von nun an meldet sich immer stärker innerlich der Drang, vieles loszulassen. Für diese wesentliche Veränderung gibt es auch manche äußere Anzeichen. Die weibliche schöpferische Kraft geht sichtbar zu Ende (Menopause), die männliche, oft verborgener, genauso. Große Kulturen sahen hier immer schon einen Generationswechsel. Das Judentum spielte mit der Zahl 50, die Maya mit der 52.
Das Sicherheitsbedürfnis, die Machterhaltung, die Berufung auf seine Erfahrung, die Ablehnung weiterer Lernprozesse nimmt nun zu. Gleichzeitig wächst das Bedürfnis nach ganzheitlicher Ausreifung der eigenen Persönlichkeit. Die Frage nach dem Sinn des Geleisteten kommt auf, die Sehnsucht nach neuen Beziehungen. Die Selbstverständlichkeit, mit der man früher lebte, schuf, kämpfte, verliert sich. Stattdessen tritt die Bewertung der Wirklichkeit, die man lebt und in der man lebt, in den Vordergrund.
In neuer Weise tauchen Fragen auf wie: Was war und ist wirklich sinnvoll von dem, was ich aufgebaut, geglaubt, gewünscht habe? Wer bin ich eigentlich? Was erfüllt mich wirklich? Welche Seiten meines Wesens sind noch unentwickelt?
Diese Fragen stellen sich nicht immer direkt. Oft erkenne ich sie in meiner Reaktion auf das, was andere, so zum Beispiel die Kinder, entscheiden und machen. Oder mich stören auf einmal Strukturen und Verhaltensweisen des Unternehmens, für das ich bisher selbstverständlich gearbeitet habe. Auf der anderen Seite zieht es mich vielleicht zu Veranstaltungen, Büchern oder Beziehungen, die mich bisher nicht interessiert haben.
Wer darum weiß, kann frühzeitig die Zeichen wahrnehmen, die die veränderte Beziehung zum Leben verdeutlichen. Spätestens gegen die Mitte der neuen Kairos Lebensphase (ca. 55 Jahre) wird das Neue bewusst. Ob sich das Neue darstellt als bewusste Annahme der Dauerhaftigkeit des schon bisher Gelebten oder als eine mehr oder weniger starke Korrektur, hängt von sehr ursprünglichen Beziehungskräften ab. Die Grundlinien für die nächsten mehr als 20 Jahre zeichnen sich ab. Darum ist es auch noch viel später wertvoll, sich dabei helfen zu lassen, den Kern der eigenen Veränderungen wirklich zu verstehen und von nun an bewusster weiter zu gehen.
Karl Hofmann
Bitte vormerken:
„Macht und Zeit. Die Weisheit der menschlichen Lebenskräfte“. So lautet der Titel des neuen mehrteiligen online-Seminars, das am 27. Februar 2025 starten wird. Darin werde ich auch genauer auf die Lage 2025 eingehen. Weitere Informationen dazu in Kürze.