Kairos Inspirationen 2024/#7

„… und was in schwankender Erscheinung schwebt, befestiget mit dauernden Gedanken.“

Goethe, Faust I

 

17. März 2024

 

Die indische Kultur unterschied zwischen dem kleineren und dem größeren Fahrzeug des Lebens. Auch wir tun das, wenn wir zwischen den personalen Lebensphasen und den großen historischen Phasen oder Epochen unterscheiden.. Auch Goethes Faust behandelt letztlich das Verhältnis dieser beiden Welten zueinander. Repräsentanten der Herrschaft über die kleine Welt des Menschen ist Mephisto. Auf der anderen Seite ist Gott mit seinen Engeln. Faust ist dazwischen.

„Von jenen Welten weiß ich nichts zu sagen. Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.“, So Mephisto gleich zu Beginn.

 

Die Engel dagegen haben eine andere Aufgabe: „und was in schwankender Erscheinung schwebt, befestiget mit dauernden Gedanken.“

 

Die Sehnsucht nach der Verbindung mit dem großen Rad ist jedem ins Herz gelegt. Aber Zugang haben wir gewöhnlich nur indirekt. Über das eigene Gefühl, über große Gedanken, die uns anziehen, über Autoritäten, die uns die Ewigkeit verkaufen, über Medien und Rauschgifte, die uns künstlich Momente der Loslösung von der anstrengenden Welt verschaffen.

 

Letztlich ist die kleine Welt finster. Jeder Tag, jeder Mensch, jedes Tun, was wir hinter uns lassen, ist gleichsam tot. All das kann zur Hölle werden, wenn es mit Versäumnis und Schuld belastet ist.

 

Die Sinn-Welt dagegen ist Licht, unvergängliches Leben. Etwas davon zu spüren ist der Kern dessen, was wir Glück nennen. Aber wie schon Mephisto nüchtern sagt: „Und euch taugt einzig Tag und Nacht.“

 

Dieser Zwischenraum verunsichert. Ist alles Illusion, Wunschdenken, Glaube, der sich an jede Boje klammert, die davor schützt, in der Geschichte spurlos zu versinken wie in einem Meer.

 

Wie groß diese Unsicherheiten und Ängste sind, zeigt das Maß an Verführbarkeit heute. Viele halten sich bedingungslos an jene, die beanspruchen, Sicherheit versprechen zu können. Sie wehren sich mit Händen und Füßen, wenn ihnen jemand die Boje infrage stellt, an die sie sich krampfhaft anklammern.. Sie verlangen nach einer sinnstiftenden geistigen Orientierung. Es muss ein Glaube sein, der für alle gilt. Rettung aus der Sinnlosigkeit. Sie spüren tief im Inneren, dass ein langes Leben, viele Urlaubsreisen, jede Menge Freizeit, Besitz und Geld das Problem nicht lösen können. Lieber kürzer, eingeschränkter, besitzloser, aber dafür im Glauben, für etwas Großes da zu sein.

 

Ob die Kreuzfahrer die heiligen Stätten der Heiligen Schrift gerettet haben, die Missionare der Neuzeit die Menschen aus der Unvernunft primitiver Rituale oder NGOs und ihre Aktivisten Klima, Demokratie oder die Weltgesundheit zu retten haben – sie alle glaubten und glauben, so im Sinne des Lichtes des historischen Kairos zu handeln. Die Kreuzfahrerstaaten brachen zusammen, die Missionare mussten China verlassen und verloren wieder viele andere Missionsprojekte und auch die aktuellen Bemühungen werden scheitern. In allen Fällen scheiterte die eigene Ideologie zuletzt an den Kräften des Lebens, der Tradition, des Freiheitswillens.

 

Wer um die zeitlichen Wahrscheinlichkeiten der Geschichte weiß, der weiß auch, in welchen Zeiträumen dieses Scheitern stattfindet.

Karl Hofmann

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