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Es wurde bisher grundsätzlich immer nur die Wahrheit verboten.
Friedrich Nietzsche
Die spannende geschichtliche Frage dazu lautet: wann war das Bedürfnis nach diesem Verbieten stärker, wann schwächer ausgeprägt? Worauf genau bezog sich das Verbieten?
Mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit ist es so eine Sache. Immer sind unterschiedliche Informationen im Umlauf. Gewöhnlich fehlt die unmittelbare Anschauung. So ist es ein Ringen, herauszufinden, was wirklich ist und welche Bedeutung es im Kontext hat. Die Frage also ist: was begründet in einer Gesellschaft Übereinstimmung, die dann auch im Bildungssystem weitergetragen wird. Nun können wir die Lösung dieser Frage innerlich optimistisch, skeptisch-prüfend oder pessimistisch beantworten. Ein Forschungsergebnis der Kairologie ist, dass diese Tendenzen auch ihre eigenen Zeiteinheiten haben, in denen sie innerhalb ihres Energiefeldes wirksam sind und gesellschaftlich dominieren. Wir sprechen von Kairos Generationen. Sie treten immer in der geschilderten Reihenfolge auf
Betrachten wir dazu kurz den politischen Weg der BRD bis heute, so können wir alle drei Varianten kurz skizzieren. Ab den fünfziger Jahren tritt allmählich jene Generation in den Vordergrund, die gegenüber den vorausgehenden Ideologien eine „offene Gesellschaft“ anstrebt. Ihr Optimismus setzt auf die unmittelbare Überzeugungskraft der Wahrheit, aber es auf es fast fertig setzen ist offen und wir machen uns vergessen was abzuholen Uhr, Saal getan und von der Höhe des hier ich wenn sie im besten Sinne von Menschen repräsentiert wird. Die sechziger und siebziger Jahre sind gekennzeichnet durch eine engagierte Diskussionskultur. Die führenden Politiker entfalten eine Sogwirkung für alle, deren Empfinden ähnlich gelagert ist. Eine solche Zeit wurde in der Nachkriegs-Bundesrepublik dominiert von Politikern wie Willy Brandt, Franz-Josef Strauß oder Helmut Schmidt. Parteien vergegenwärtigen in dieser Generation bestimmte konservative, freiheitliche oder progressive Kräfte des Ganzen. Verboten werden nach Möglichkeit Wahrheiten, die der individuellen Freiheit Grenzen setzen.
Der skeptische Realismus hält sich primär an die Autorität von Fakten und amtlichen Funktionen. Der Konsens geht aus der Objektivität von Wissenschaft, Gesetzen und Amtsträgern hervor. Dafür stehen ab den achtziger Jahren in der BRD Politiker wie Helmut Kohl, Friedrich Genscher oder Gerhard Schröder. Parteien sind hier primär Kaderschmieden und die Mitglieder Fußsoldaten der „Parteigeneräle“. Verboten ist, was weder sachlich-rational noch amtlich begründet ist.
Gegenwärtig dominiert die pessimistische Variante. Das „richtige“ Bewusstsein hat Vorrang vor den Fakten. Ein mit verschiedenen Mitteln erzeugter Konsens gilt nicht nur als Wahrheit, sondern zugleich als das für alle Gute. Nicht mehr die unmittelbare Kraft von Politikern oder der Glaube an die Wirkung objektiver Gegebenheiten schafft die gewünschte gesellschaftliche Einheit und Ganzheit, sondern die Art der bewussten Beziehung dazu.
Die Gegenwart soll bestimmt werden von einer gemeinsamen Ausrichtung des Bewusstseins auf die Zukunft. Der Konsens wird erzeugt durch ein gemeinsames Glaubensbekenntnis. Allem Handeln geht der Glaube voraus, dass gut und böse streng zu trennen seien. Wind und Sonne sind gut, Öl und Kohle sind schlecht. Impfen ist gut, Nichtimpfen ist schlecht. Selbst wenn jenes nicht gesund wäre, würde es zumindest das Gefühl geben, zur Gemeinschaft, zu den Guten zu gehören. Ukraine ist gut und mit allen Mitteln zu unterstützen, das Putin-Russland ist schlecht und mit allen Mitteln zu bekämpfen. In diesem Konsens der Glaubensgemeinschaft ist sowohl das Gute wie auch das Böse klar definiert. Was aber böse ist, ist auch schädlich für das Ganze. Es braucht daher eine Etikettierung, die es ermöglicht, es zu eliminieren. Solche Etiketten sind heute zum Beispiel rechtsextrem, homophob, Verschwörungstheoretiker, Putinversteher …
Vor 400 Jahren hieß es: Willst du nicht katholisch sein, schlag ich dir den Schädel ein. Das „katholisch“ stand für die universale Weltordnung, der sich jeder unterwerfen sollte. Der Protestantismus sollte nach Möglichkeit ausgerottet oder vertrieben werden. Dem stand allerdings ein rechtsgültiger Vertrag entgegen. Evangelische Städte und Fürstentümer konnten sich auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555 berufen. Er sicherte ihnen die freie Ausübung ihres Glaubens zu. Im 30-jährigen Krieg aber wollten jene, die von der universalen Gültigkeit des katholischen Glaubens die Einheit der Gesellschaft abhängig machten, das nicht mehr anerkennen. Der persönliche Glaube sollte sich dem größeren Glaubenskonsens unterwerfen.
Gewisse Ähnlichkeiten sind heute nicht zu übersehen. Die Grundrechte, 1948 im Grundgesetz verankert, sollen nur noch gelten, sofern der einzelne sich dem neuen gemeinsamen Glaubensbekenntnis und der dazugehörigen Sozialkirche unterwirft. Wer unabhängig davon diese Rechte einfordert, gehört nicht mehr dazu. Er oder sie wird an den Pranger der Medien gestellt, verbannt aus der Öffentlichkeit oder gar um die Existenz gebracht. Verboten ist alles, was an Wissenschaft, Fakten oder Rechten der verlangten „Haltung“ widerspricht.
Nietzsche hat recht. Auch heute gilt: „Du darfst nicht sagen, dass …“ Jede Generation hat ihre spezifischen Wahrheitsverbote. Insofern hat auch jede Zeit ihre Lebenslügen. Der einzelne aber hat immer die Möglichkeit, die Wahrheit zu suchen und für das Erkannte einzutreten. Die Kosten dafür sind allerdings je nach Generation unterschiedlich hoch.
Karl Hofmann