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Wo etwas schwer und unerträglich wird, da stehen wir auch immer schon dicht vor seiner Wandlung
Rainer Maria Rilke
Es sind die Extreme, die uns zeigen, was den Menschen ausmacht. Mann oder Frau – was soll es Natürlicheres geben? Aber so selbstverständlich ist das nicht. Das zeigt beispielhaft die Tatsache von „Transgender“. Mehr noch, wie gegenwärtig leicht zu erkennen ist, kann eine Gesellschaft das Transgendern sogar forcieren, seine sprachliche Anwendung ihren Mitgliedern im Bildungssystem aufzwingen, es zu einer öffentlichen Norm erheben und jene in den Mittelpunkt stellen, die es sichtbar verkörpern. Man denke an den Österreicher Conchita Wurst, der einige Jahre als Frau auftrat, bis er sich wieder zu seinem Mannsein bekannte.
Es ist nachvollziehbar, dass sich viele darüber aufregen. Auch weil sie wahrnehmen, dass das Thema gegenwärtig künstlich gehypt wird. Unser Anliegen nun ist, das Thema auf einer anderen Ebene zu betrachten.
Das Geschlecht und das damit verbundene Selbstverständnis sind nicht einfach „naturgegeben“. Sein Geschlecht wird für ihn erst endgültig zu seiner Wirklichkeit, wenn er zu einem von beiden oder gar einem dritten oder gar vierten Selbstverständnis ja sagt.
Es ist also nicht so, dass die biologische Verfasstheit schon den Menschen ausmacht und sein Bewusstsein dies nur abbildet und vergeistigt. Sie ist vielmehr eine Wirklichkeit, die wesentlich auf einen Zusatzfaktor angewiesen ist, unsere Beziehung dazu.
Nicht die biologische Realität hat für den Menschen das letzte Wort, sondern seine spezifisch menschliche Dynamik. Der Kern des Menschen ist sein In-Beziehung-sein und dessen Dynamik. Diese Dynamik kann auch dazu führen, dass er sein geschlechtliches Selbstverständnis im Laufe seines Lebens wechselt, ja dass er damit sogar spielen kann.
Wenn Staat und Kirche in der Vergangenheit nur ein Bewusstsein von Mann oder Frau zuließen und das zur anthropologischen Verfasstheit des Menschen erklärten, dann stand dahinter ein kulturelles Wollen, das im Gewand von religiöser oder rationaler Objektivität auftrat.
Die Transgender-Bewegung verneint den bisherigen Weg. Sie tritt aber auf ihre Weise nun genauso dogmatisch auf wie die 2-Geschlechter-Sichtweise. Sie erhebt wiederum einen objektiven Anspruch, kämpft gegen die bisherige Perspektive und sieht nicht, dass das Gemeinsame beider Wege in einem Dritten liegt.
Der Mensch ist nicht dies oder das. Er ist wesentlich geschichtliche Bewegung, ein immer neues In-Beziehung-gehen mit seiner Wirklichkeit. Und so ist die eigentliche Frage: Was war das für ein schöpferischer geschichtlicher Weg, der lange Zeit nur diese Mann-Frau-Betrachtungsweise zuließ und alle anderen Regungen und Sichtweisen verdammte? Und was bedeutet es, dass dieser Weg der Verabsolutierung des Biologischen gerade zur absoluten sozialen Relativierung geführt hat? Wurde das scheinbar Natürliche manchen zu schwer, und zwar so sehr, dass sie es zum gesellschaftlichen Problem erhoben?
Tiefer betrachtet ist zu erkennen, dass das Frühere und Spätere zusammengehören. Wie das eine kein Hinterfragen zuließ, so nun auch das andere. Zu überwinden aber wäre dieser Gegensatz erst, wenn die Frage lautete: Was ist auf Dauer sinnvoller für das Leben des Ganzen? Was ist von diesem Ganzen hier leichter zu ertragen? Diesem Pfad folgt schließlich auch die geschichtliche Wandlung.
Karl Hofmann