Kairos Inspirationen 2024/#28 – 11. August 2024

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So ist das siebente Jahr eines jeden Menschen ein Stufenjahr, welches ein neues Leben, einen neuen Charakter und einen anderen Zustand herbeiführt.

 

Martin Luther

 

Bis zum Alter von zwölf Jahren speichert jeder Mensch die zwei wichtigsten Beziehungskräfte seines Lebens ab, die „weibliche“ Kraft der Liebe und die „männliche“ Kraft des Glaubens. Am Ende sollte in jedem von uns verankert sein, was für unser Leben elementar bedeutsam ist: Als Mensch überhaupt angenommen zu sein und als konkret geformter Mensch anerkannt zu sein

 

Die Dynamik der Kairos Lebensphase 2 entfaltet sich zwischen knapp sechs Jahren bis zu zwölf Jahren und ca. vier Monaten. In diesem Alter wird das rechte Vertrauen in Worte und Güter erworben, der Urglaube an richtig und falsch, die Mitte zwischen einem skrupelhaften und einem laxen Verhältnis zu Normen aller Art. Die Kraft des In-Beziehung-Seins wird über Formen, die von sich aus bedeutungsvoll sind, wie Sprache und Rituale, aufgenommen und innerlich abgespeichert.

 

Im Rückblick stellen sich im Blick auf die Selbstentfaltung manche Fragen:

  • Wie glaubwürdig waren damals meine Autoritätspersonen?
  • Was wurde mir als bedeutsam hingestellt? Verlangten die Dinge und Vorstellungen, um die es ging, eher nach religiöser Ehrfurcht oder den Glauben an bestimmte ethische Werte und Verhaltensnormen oder pure Sachlichkeit?
  • Inwiefern und unter welchen Voraussetzungen wurde ich in der Familie, in der Schule, in sonstigen Gruppen anerkannt?
  • Wie habe ich die Polarität des „Männlichen“ und des „Weiblichen“ erfahren?

 

Diese Fragen stellen sich nun zu bestimmten Zeiten in besonderem Maße. Denn menschliches Leben ist nur im chronologischen Sinne ein lineares Gebilde. Kairologisch ist es ein Netzwerk, in dem auch Vergangenheit Gegenwart und Zukunft ständig im Wandel sind. Allerdings nach einer gewissen Ordnung.

 

Wenn vom Kairos her sich eine Neubewertung gewisser früherer Phrasen aufdrängt, werde ich es merken. Es ergibt sich ganz natürlich, auch wenn ich nicht weiß, warum das so ist. Allerdings bleibt spannend und manchmal unerwartet, wie das Thema sich zeigt.

 

Die fünfte Kairos Lebensphase (25-32) weckt in mir zum Beispiel die Fragen: Erinnerst du dich an das, was dir in L2 (6-12) beigebracht wurde an Verhaltensregeln, Normen, Werten, Geboten und Verboten? Wie nun stehst DU heute dazu? Wozu kannst du dich als 30-jährige(r) bekennen? Was ist für dich unglaubwürdig geworden?

 

Vielleicht hast du inzwischen die kindliche Pflicht zum Kirchgang aufgegeben. Vielleicht verstehst du jetzt (erstmals/immer noch/wieder) Ehe als heilige Einrichtung oder als sinnlos oder als nützliches Instrument. Vielleicht fühlst du dich stark verunsichert, weil deine „alten“ Autoritäten sich als unglaubwürdig erwiesen haben.

 

Auf der Wendeltreppe des Lebens geht in Kairos Lebensphase 8 (45-51) die Verarbeitung in die nächste Runde. Du fragst dich vielleicht jetzt: Wie sehr bin ich mir meiner eigenen Kompetenz sicher? Wie sehr brauche ich für mein Selbstwertgefühl die Anerkennung von außen? Wie sehr trifft mich als Person Kritik an meiner Arbeit?

 

In Kairos Lebensphase 11 (64-71) wirst du aufgefordert, dich mit deinen Glaubensmustern noch umfassender auseinanderzusetzen. Wie bewertest du jetzt die geschichtliche Gegenwart und ihre Hintergründe? Wie sehr bist du darauf angewiesen, im aktuellen „objektiven“ Konsens zu bleiben und wie viel Freiheit spürst du, dich neuen Horizonten und auch Relativierungen deiner alten Weltanschauung zu stellen?

 

Natürlich sind das nur Blitzlichter. Der Einzelfall ist oft komplex. Kairos zeigt sich auch sehr unterschiedlich. Aber eines gilt nicht nur für die neue Auseinandersetzung mit L2: Auf dieser inneren Wendeltreppe hinauf zu immer größerer Freiheit und Ganzheit tritt jede frühe Lebensphase zu bestimmten Zeiten immer wieder auf neue Weise vor die Augen. Kairos drängt zu Wandlung und Weiterentwicklung.

Karl Hofmann

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