Kairos Inspirationen 2024/#25

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Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam.

 

 

Apostelgeschichte 2,44

 

 

Es lohnt sich, den tieferen Sinn der neuen Smart Cities zu verstehen. Denn ihre Form ist zwar neu, die zugrunde liegende Sinnidee aber nicht.

 

Eine solche Smart City entsteht zum Beispiel gerade in München-Freiham. Sie wird am Ende 25.000 Einwohner umfassen. Das englische Oxford ist schon weiter. Dort ist bereits die ganze Stadt in sechs solche Smart Cities eingeteilt. China ist natürlich noch weiter. Insgesamt sollen auf der Welt momentan über 1000 solche neuen 15-Minuten-Städte oder Stadtviertel entstehen.

 

Das Konzept ist weltweit gleich. Eine solche Stadt wird nach Möglichkeit in einem Zug aus dem Boden gestampft. Im Idealfall gehört in diesen Städten niemandem etwas. Die Verwaltung betreut die Wohnungen. Es ist alles so geplant, dass alle zu allem, was sie brauchen, direkten Zugang haben. Du bist befreit von der Last, ein teures Auto zu unterhalten, Parkplätze zu suchen, zeitaufwendig deine Wünsche erfüllen zu müssen. Du kannst alles in wenigen Minuten zu Fuß erreichen. Die eine Schule, die eine Sportanlage, der eine Freizeitpark, das eine vielfältige Einkaufszentrum, der eine Zugang (über U- oder S-Bahn) nach „draußen“.

 

Es ist eine Welt, in der beispielhaft schon die vollkommene Einheit von Freiheit und Gebundenheit gelebt wird. In diesem Modell ist das individuelle Habenwollen überwunden. Hier ist auch der Weg zu einem geldfreien Leben nicht mehr weit. Wo für alle alles gegeben ist, was sie brauchen (sollen), lässt sich das auch als Gesamtpaket anbieten. Es muss ja nicht überall so kontrolliert zugehen wie im chinesischen social credit system.

 

Das Spannende an diesen neuen Städten ist, dass sie gut darstellbar sind als moderne Klostereinheiten. Es sind Zeit-Städte. Der Sinn liegt im Zeit-Gewinn. Der Himmel der Zeitfreiheit, der reinen Gegenwart ist nahe. Es ist eine neue stabilitas loci. Es ist eine abstrakte Gemeinschaft, in der der Schwerpunkt auf der Kommunikation auf der virtuellen Welt liegt.

 

Im 13. Jahrhundert wurde diese smarte Welt geistlich und die dazugehörige Intelligenz spirituell wahrgenommen. Auch damals drängten viele danach, in eine solche Welt aufgenommen zu werden.

 

Heute stehst du über Computer und Smartphone mit der Welt und der Zeit draußen in Beziehung. Deine Wohnung ist deine Zelle, von der du immer wieder in die persönlich-kollektive Informationswelt eintrittst. In den Wohnblöcken geht es sehr still und sachlich-distanziert zu. Nach der morgendlichen Ausrichtung über Andacht und Gesang (Radio, Fernsehen…) geht es zur Arbeit. Manche sind gezwungen, einer Arbeit außerhalb der unsichtbaren Klostermauern nachzugehen. In Oxford etwa darf jeder ohne weitere Erlaubnis seine 15-Minuten-Stadt für 100 Tage Jahr verlassen. Andere machen „Home Office“ und arbeiten direkt über Zahlen, Texte, Gespräche auf der virtuellen Ebene, ohne sich äußerlich bewegen zu müssen. Über sein Handy vergewissert sich ohnehin jeder so oft wie möglich seiner übernatürlichen Informationswelt. Vor allem die Abende und die Nächte gehören dieser Licht-und Klangwelt.

 

Auf eine solche neue Welt steuern wir immer bewusster zu. Mögen die Älteren noch ihrer individuellen Freiheit von gestern nachtrauern. Sie verstehen eben nicht, welche ganzheitliche, aller Schwere des äußeren Lebens enthobene Welt sich hier bietet. Wie schön es doch ist, sich nicht auf die Welt zubewegen zu müssen, sondern zu erleben, dass die Welt sich auf mich zubewegt. Dafür verzichtet man gern auf den Stress, alles selbst entscheiden zu sollen.

 

Dass wir all das schon einmal hatten, nur in anderer Bewusstseins- und Lebensform, muss ja nicht jeder reflektieren. Und dass es ein Versuch ist, das Ideal der ersten Christen in einer erwarteten Weise aufleben zu lassen, wird vermutlich auch nur wenigen in den Sinn kommen.

 

Karl Hofmann

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