Kairos Inspirationen 2024/#22

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… Die ich rief, die Geister, werd´ ich nun nicht los.

 

Aus: der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe 1797

 

Der Westen hat in besonderem Maße über Gott, den alten Hexenmeister, zu verfügen versucht. „Seine Wort´ und Werke merkt´ ich und den Brauch, und mit Geistesstärke tu ich Wunder auch.“ Aus dem Blickwinkel des 18. Jahrhunderts sind es lauter Wunder, was heute unseren Alltag bestimmt. Man denke nur an unsere Mobilität und unsere Kommunikation.

 

Die Allmachtsfantasien haben aber auch noch andere Konsequenzen. Sie erlauben eine ungeheure Grausamkeit, die sich auf vielen Schlachtfeldern abspielt. Wie aber ist es möglich, so sehr das menschliche Maß zu verlassen, so wenig zu empfinden, was man hier den Menschen und der Welt antut?

 

Ein wesentlicher Grund dafür ist die Distanz derer, die entscheiden. Sie sind innerlich und äußerlich weit weg. Sie arbeiten gleichsam mit Knopfdruck. Sie sehen keine abgerissenen Arme und Beine, keine schreienden Verwundeten, keine toten Kinder.

 

Sie sind besessen von abstrakten Ideen und Kräften, für die und mit denen sie kämpfen: Geopolitische Vorstellungen, globalistische Kampfbegriffe wie Klima und Gesundheit. Sie ringen im Grunde mit etwas Unendlichem, mit einer absolut für alle gültigen Idee, die mit allen Mitteln zu verwirklichen ist.

 

Diese Idee ist nicht neu. Sie ist der Kern des historischen Energiesystems, das man früher Abendland nannte, das inzwischen aber die gesamte Welt durchdringt und beherrschen will. Es ist ein absolutistisches System. Der Sinn des Ganzen wird als ein absoluter Anspruch erlebt. Zweimal hat er in der Geschichte schon sein Gesicht so deutlich gezeigt, dass die Historiker nicht anders konnten als von einem kirchlichen bzw. höfischen Absolutismus zu sprechen.

 

Der kirchliche Absolutismus begann im zehnten Jahrhundert, vom Kloster Cluny in Frankreich ausgehend. Er stellte den Anspruch des himmlischen Jerusalems über alle natürlichen Ansprüche von Adel und Volk. Im 13 Jahrhundert war es soweit, dass er glaubte, sich in der Gestalt des Papsttums absolut durchsetzen zu können.

 

Der höfische Absolutismus begann im 14. Jahrhundert mit der Renaissanceidee des Individuums. Das Ideal war, dass es von keiner anderen Instanz abhängig sei als von seiner inneren Vernunft, wie immer die geartet war. Diese Idee vollendete sich in einer Ausstrahlung, die die ganze Kultur beherrschen wollte. Den Gipfel dieses höfischen Absolutismus bildete das System des französischen Königs Ludwig XIV, dass im 17. Jahrhundert seine Vollendung in Versailles fand. Man versuchte alle Menschen des Herrschaftsbereiches der Kontrolle dieses Systems zu unterwerfen.

 

Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sich die dritte große Allmachtsvorstellung: die Idee einer allgemeinen Menschheitsreligion (siehe Lessing, Nathan der Weise), verbunden mit einer Weltregierung , einer Freiheit von allen traditionellen gesellschaftlichen Bindungen (Idealismus), einer Wahrheit, deren Objektivität allein in der Natur lag. Diese Idee verbreitete sich zunächst unter den Intellektuellen, angeführt von Geheimgesellschaften wie den Freimaurern oder den Illuminaten. Geschichtliche Form gewann sie am stärksten in der Gründung der USA.

 

Nun entspricht das 21. Jahrhundert dem 13. und 17. Jahrhundert. Wir sehen den Willen, den absoluten Verstandesanspruch durchzusetzen. Er verkleidet sich nicht mehr geistlich oder königlich. Er erscheint anonym, rational, transhuman. Sein Symbol ist die künstliche Intelligenz. Ziel ist die absolute technologische Herrschaft und Kontrolle.

 

Die zwei, im Vergleich noch scheinbar überschaubaren Vorläufer zeigen uns, dass es hier um einen absoluten Sinnanspruch geht. Man will eine Einheit des gemeinsamen Denkens, Fühlens und Handelns erzwingen. Die Idee der neuen Weltordnung ist schon 300 Jahre alt. Aber nun glaubt die kleine Elite derer, die lange schon verborgen daran arbeitet, die menschlichen Bindungen an Familie, Firma oder Nation zu überwinden, die Idee zur praktischen Vollendung führen zu können. Was bisher Verschwörungstheorie war, wird offen ausgesprochen.

 

Dieser Absolutismus ist der letzte universale Weltanspruch dieses historischen Systems. Er fordert zum Kampf für das Menschsein heraus. Wer in diesem Sinne für die persönliche, familiäre oder nationale Freiheit und Bildung kämpft, sollte allerdings wissen, mit welchem historischen Kairos er es zu tun hat. Der Kampf ist umfassend und lebensbedrohlich. Es geht ein letztes Mal um sehr viel, um den allmächtigen Sinnanspruch eines Systems, das sich seit über 1000 Jahren durch die Weltgeschichte bewegt.

 

Wer dies sich bewusst macht, darf aber auch Zuversicht schöpfen. Denn die historischen Kräfte haben den Anspruch schon zweimal in seine Grenzen verwiesen und damit gebrochen.

 

Karl Hofmann

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