Da die größten Kulturvölker in ihren politischen Formen schwanken oder in Übergängen begriffen sind, … würde es ein wunderbares Schauspiel, freilich aber nicht für zeitgenössische, irdische Wege sein, dem Geist der Menschheit erkennend nachzugehen der über all diesen Erscheinungen schwebend und doch mit allen verflochten, sich eine neue Wohnung baut. Wer hiervon eine Ahnung hätte, würde des Glückes und Unglückes völlig vergessen und in lauter Sehnsucht nach dieser Erkenntnis dahinleben.
Jacob Burckhardt
Kairos Inspiration vom 28.4.2024
Diese Inspiration lädt uns ein zum Fliegen. Lass das zurück, was dich an die Erde, an die Sorgen, Nöte und Freuden deines kleinen, kurzen Lebens bindet. Der Traum manches Milliardärs ist, einmal die Erde und ihre Schwerkraft hinter sich zu lassen, einmal auf den ganzen Planeten von oben zu schauen. Lass uns das heute mit dem geschichtlichen Weltraum machen.
Jeder von uns ist gleichsam eine Sonne in diesem geschichtlichen Weltraum. Die einen leuchten länger, die anderen kürzer. Jeder von uns hat eine gewisse Strahl- und Anziehungskraft.
So wie unsere Sonne nichts weiß davon, dass sie ihren bestimmten Platz in der Galaxie hat, die wir Milchstraße nennen, so wissen viele Menschen nichts davon, wo sie in diesem geschichtlichen Weltraum angesiedelt sind. Sie entstehen, leuchten, vergehen und sind damit mehr oder weniger zufrieden.
Wir aber wollen heute zumindest kurz die geschichtlichen Galaxien überfliegen, auch jene, die längst ihre lebendige Entwicklung hinter sich haben. Was davon übrig ist, sind Ruinen und Mentalitäten.
Im Osten sprechen wir von einer altamerikanischen Kultur, in ihrer Blütezeit wesentlich bestimmt von den Mayas. Eine zweite ist das Reich der Mitte, also China. Die dritte ist Indien. China und Indien haben ihr notwendiges inneres Wachstum schon vor mehr als 2000 Jahre vollendet. Allerdings wird die Erinnerung an die Stärke ihrer einstigen Entfaltung gerade wieder in hohem Maße geweckt.
Im Nahen und Mittleren Osten, also in der Mitte zwischen Ost und West, sehen wir das alte Mesopotamien, heute Iran und Irak, das alte Ägypten und die Galaxie der großen Religionen, vor allem der christlichen, jüdischen, islamischen Glaubensgemeinschaft, die wir in der Kairologie das Orientale Kultursystem nennen.
Im Westen und Norden taucht bei unserem Zeitflug die Antike auf, mit ihren beiden Schwerpunkten Griechenland und Rom. Jetzt erst sehen wir die Okzidentale Galaxie. Entstanden vor allem in Mittel- und Westeuropa, hat sie vor über 1000 Jahren die Grundlagen dafür geschaffen, schließlich sich die ganze Welt unterwerfen zu wollen. Im Vergleich zu den anderen historischen Galaxien können wir erwarten, dass auch sie ihre eigene Selbstentfaltung in diesem Jahrhundert vollenden wird.
Aber es ist nicht nur fast alles Vergangenheit, was wir sehen. Unser Flug bietet uns das unwahrscheinliche Erlebnis, nahezu die Geburt einer letzten großen Menschheitsgalaxie wahrzunehmen. Ihr Kern ist Russland. Wie einst Burgund und die Rhein-Mosel-Gegend den schöpferischen Kern des Okzidentalen Kultursystems bildeten, so in etwa der Raum Moskau/ Sankt Petersburg den neuen. So wenig das Geschehen im aramäischen Raum zur Zeit Jesu für einen Römer zu verstehen war, so schwer fällt es uns heute, den Kern der neu erwachenden slawischen Kultur innerlich mitzuvollziehen. Doch die seit 300 Jahren mit uns verbundene Vorgeschichte gibt uns viele Zeichen an die Hand. Oswald Spenglers historische Intuition hat uns schon 1918 in seinem „Untergang des Abendlandes“ einige wesentliche Konturen vermittelt. Sie beginnen sich nun deutlicher abzuzeichnen.
Unser extrem kurzer Höhenflug konnte uns ein wenig über die historischen Niederungen hinausführen und uns erheben zu den gewaltig großen Sinneinheiten der Menschheit. In ihnen realisieren bzw. realisierten sich neun Urmuster oder historische Archetypen.
Wir alle, die an irgendeiner Stelle Sonnen mit mehr oder weniger Strahlkraft sind, haben unseren Platz nicht zufällig irgendwo in der Zeit der Menschheit, sondern wirken alle mit an großen Sinneinheiten.
Vielleicht lässt dich dieser Flug etwas ahnen…
Karl Hofmann