Kairos Inspirationen 2024/#29 – 18. August 2024

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Die Hoffnung stirbt zuletzt.

 

Seneca/deutsches Sprichwort

 

Im Alltagsgebrauch wirkt der Begriff der Hoffnung verwaschen. Man hofft auf gutes Wetter, einen besseren Job, auf Gesundheit… Die Aussage „die Hoffnung stirbt zuletzt“ geht viel tiefer, ist viel komplexer und schwerer zu erfassen. Folgende Reflexion möge dazu beitragen, den Blick auf dieses Phänomen etwas auszuweiten.

 

Hoffnung ist die dritte der wesentlichen schöpferischen Kräfte des Menschen, die die Einheit mit seiner Wirklichkeit ermöglichen.

In Kairos Lebensphase 1 speichere ich die Liebeskraft ab, die mich unmittelbar mit meiner Welt der Menschen, der Natur, der Geschichte verbindet.

In Kairos Lebensphase 2 speichere ich die Glaubenskraft ab, die all das für mich bedeutsam macht, was mir als Werte, Normen, Verhaltensweisen von Menschen Tiere begegnet. Je mehr ich mit all dem in ungebrochener Einheit bin, desto fester stehe ich später.

 

Mit zwölf Jahren beginnt die Zeit der individuellen Selbstwerdung. Es entwickelt sich bis knapp 19 Jahre meine biologische Form nach Geschlecht, Größe, Wuchs, Kraft, meine geistige Form des Wahrnehmens und Denkens, meine Art, zu fühlen und in Beziehung zu gehen.

 

Das Leben wird zum Problem. Ich erlebe Gegensätze. Mein erwachendes Ich wehrt sich gegen die Autoritäten von gestern, mein erwachendes Geschlecht trennt sich ab vom anderen Geschlecht, mein Verstand entdeckt scheinbar unlösbare Probleme der Wirklichkeit. Dieses Wachsen von Gegensätzen kann sich still oder laut, einsam oder in äußerer Gemeinschaft, reflektiert oder unreflektiert abspielen. Es ringt in jedem Fall mit unserem Urstreben nach Einheit in Harmonie, Gerechtigkeit und Wahrheit.

 

Wie sehr wird mir nun das Vertrauen vermittelt, dass sich logische, persönliche, geschlechtliche Gegensätze überwinden lassen?

 

Mein Inneres sucht im Streit mit Eltern und Geschwistern das bleibend Verbindende. Es sucht in den gedanklichen und praktischen Problemen (Schule und Lehre) die geniale und vielleicht unerwartete Lösung, die mir das Vertrauen schenkt, dass das, was aussichtslos erscheint, nicht aussichtslos sein muss. Es sucht in mehr oder weniger zarten Beziehungen zum anderen Geschlecht die Kraft der Gewissheit, die durch scheinbar hoffnungslose Zerwürfnisse und Verständnislosigkeiten tragen kann.

 

Die Hoffnung, die in dieser Zeit entsteht, hat seine eigene Qualität. Die Liebe zum Leben kann schwach werden, den Glauben kann man aufgeben oder verlieren, die Hoffnung kann sterben. Aber sie stirbt zuletzt.

 

Liebe spüre ich, Werte und Normen ordnen mein Denken und Verhalten, die Hoffnung ist weniger konkret als die anderen Kräfte. In ihr zeigt sich die Paradoxie des Lebens. Sie lässt eine unsichtbare Beziehung zwischen Gegensätzen erfahren. Jene Kraft die mein Bewusstsein braucht, wenn scheinbar so unüberbrückbare Gegensätze auftreten wie zwischen Herz und Verstand, Freiheit und Schicksal, Tradition und Eigenwille, Mann und Frau, Leben und Tod.

 

Diese Gegensätze stellen sich gewöhnlich als zeitlos dar. Doch haben sie vom Kairos her ihre spezifischen Zeiten, in denen sich die Kraft der Hoffnung aus Kairos Lebensphase 3 zu bewähren hat. Im Blick auf die eigene Ganzheit sind davon vor allem die dreißiger, fünfziger, siebziger Jahre betroffen. Im Blick auf menschliche Beziehungen oder Lebensaufgaben vor allem die vierziger und sechziger Jahre. Das genaue Wann und Wie dieses Weges ist ein eigenes Thema.

 

Eines aber könnte die heutige Inspiration bringen: wer heute lebt, bei dem mögen sich bisher viele Vorstellungen der Hoffnung nicht erfüllt haben, doch fiel er oder sie nie ganz aus der existenziellen Kraft der Hoffnung. Denn: die Hoffnung stirbt zuletzt.

 

Karl Hofmann

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