Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.
Johann Wolfgang Goethe
Ein großes Wort, das in Goethes Faust II von Engeln gesprochen wird, also von unsichtbaren, aber personenbezogenen Kräften. Zwischen unserem realen Bemühen und der sogenannten Erlösung von all dem, was uns mehr oder weniger in Unfreiheit und Unzufriedenheit hält, existiert hier etwas, das von vornherein die Verbindung herstellt: das Streben. Es ist ständige Gegenwart. In diesem „strebend“ verbirgt sich das, was wir Kairos nennen.
Das Beste am Kairos ist vielleicht, dass er nie locker lässt. Wir alle haben unsere Gefühlsstaus (Maaz). Wir alle tragen aus Kindheit und Jugend eine mehr oder weniger große Differenz zwischen Sehnsucht und Erfüllung mit uns. Wer wurde schon rein empfangen, ausgetragen, aufgezogen!? Wer hatte Eltern, deren Instinkt stark genug war, schädliche Einflüsse von außen abzuhalten? Wer fand als Kind für seine Leistungen und Eigenheiten so viel Verständnis und Liebe, dass er das als volle Bejahung und Anerkennung empfinden konnte?
Der Schwerpunkt in dem Kommunikationsgeschehen Kairos liegt in den frühen Jahren bei denen, die auf unsere kindliche tiefere Sehnsucht zu antworten haben. Spätestens in Kairos Lebensphase 4 (19-25 Jahre) wächst die Kritik an den falschen, fehlenden oder verfehlten Antworten.
In Kairos Lebensphase 5 (25-32) fängt der eigene Kairos an, mit Kraft an der Korrektur zu arbeiten. Jeder Moment drängt nach Erneuerung, Bearbeitung, Heilung. Es beginnt ein oft mühsamer Weg zu vollerem Leben, zu einem Leben innerer Freiheit.
Je früher und je eindringlicher sich der Gefühlsstau gebildet hat, desto länger der Zeit-Weg der Befreiung. In jeder der Kairos Lebensphasen lassen sich nur die darin vorgesehenen Schritte gehen. Wer die Teilstrecken genau kennt, kann Phänomene des inneren Drucks, des Noch-nicht-entscheiden-Könnens, des Durchbruchs, der Burnout-Gefahr, der Enttäuschung besser einordnen.
Wer schließlich 60, 70 oder 80 Jahre alt geworden ist, wird erkennen können, wie Kairos auch auf krummen Wegen gerade zu führen verstand, bis sich Vieles zur innerlich rechten Zeit gefügt hat. Wie aber auch manches inneres Leid und manche Not blieb. Das ist zu ertragen und zu bejahen, weil wir alle auch Verletzungen der Vorfahren in uns tragen, die vielleicht noch Generationen brauchen, bis sie ganz geheilt sind.
Aber eines ist für mich gewiss: auch auf diesen geschichtlichen Ebenen wird daran gearbeitet, negative Energien aufzulösen zugunsten eines gelösten gemeinsamen Zusammenlebens. Denn Erlösung hat viele Dimensionen.
Karl Hofmann